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Tote Mädchen

Tote Mädchen

Titel: Tote Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Calder
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entschuldigen wollten, weder bei uns selbst, noch bei der Welt.

4
Schwarzer Frühling
    Vier Marines spielten Sargträger (meine Gelenke waren noch immer wie mumifiziert) und trugen mich zu einem Aufzug. Wir fuhren drei, vier, fünf Stockwerke abwärts, und dann wurde ich an zahllosen Rohren und Kabeln vorbei durch die Eingeweide der Botschaft manövriert. Der Trauerzug erreichte einen Fitnessraum und hielt an. Nachdem sie mich, steif wie ich war, in einem Winkel von fünfundvierzig Grad gegen eine Sprossenwand gelehnt hatten, gingen die Marines mit ernster Miene hinaus. Jack Morgenstern stemmte Gewichte. Wir waren allein.
    »Wie steht’s um Ihre Stimme?«, fragte er. »Ich dachte, wir unterhalten uns ein wenig.« Das amerikanische corps diplomatique trainierte anscheinend regelmäßig ‒ in dem Raum stank es nach Mensch; ich musste würgen. »Das ist ein gutes Zeichen! Offenbar lässt die Wirkung der Droge nach.« Er ließ die Gewichte sinken und ging zur Rudermaschine hinüber. »Ihre Freundin dagegen ‒ Sie werden verstehen, dass wir bei ihr auf Nummer sicher gehen müssen, auch wenn das Korsett sie umbringt.« Er fing an, den Refrain des »Eton Boating Song« zu pfeifen. »Es wäre wohl zutreffend, mich als Anglophilen zu bezeichnen. Ich bin sehr froh, dass sich die Beziehungen zwischen unseren beiden Länder verbessert haben.« Er verschnaufte und wischte sich die Hände an seinem Halstuch ab. »Ich will ehrlich zu Ihnen sein: Die Regierung Ihrer Majestät möchte Sie zurückhaben. Sie beide.«
    Ich wollte etwas erwidern, aber mein Mund schien mit Murmeln gefüllt zu sein.
    »Wie bitte?«, sagte Morgenstern und hielt mitten in der Bewegung inne.
    »Die Reinheitsfront ...«, brachte ich heraus, bevor ich an den Murmeln zu ersticken drohte.
    Er seufzte. »Glauben Sie bloß nicht, dass wir darüber glücklich sind! Allerdings ist unser Präsident der Meinung, dass die Führer der Reinheitsfront die Einzigen sind, die die Seuche im Zaum halten können. Und ich neige dazu, ihm zuzustimmen. Wir erwarten ja nicht unbedingt, dass die RF Britannien wieder groß macht ‒ verzeihen Sie den Kalauer. Aber uns bietet sich so die Gelegenheit, verlorenen Boden zurückzugewinnen und in Europa wieder mitzuspielen. Die Leute von der Reinheitsfront mögen Dreckskerle sein, Zwakh, aber sie sind unsere Dreckskerle.«
    »Seziertisch!«, spuckte ich aus. »Primavera wird auf dem Seziertisch landen.«
    »Haben Sie mir nicht zugehört? Ich habe gesagt, dass wir darüber nicht gerade glücklich sind! Auch wenn Sie beide durchaus das Schlimmste verdient hätten.« Er überquerte die Ziellinie und ließ die Riemen baumeln; sein Hash House -Sweatshirt war tropfnass. Offenbar hatte er jetzt endgültig beschlossen, den Moralapostel zu spielen. »Sie sind Ungeheuer! Tiere! Sie sind ...« Die englische Sprache versagte angesichts unserer scheinbar grenzenlosen Verderbtheit. Er stand auf und schlenderte zu einem Bock hinüber, auf dem eine braune Aktenmappe lag. » Ignatz Zwakh «, las er vor, » geboren 2056 ...«
    »Kito«, fiel ich ihm ins Wort. »Warum hat sie uns verraten?«
    »Wir beobachten Sie und das Mädchen schon seit Wochen«, sagte er, den Blick weiter auf die Akte gerichtet. »Seit die Engländer sich über ihren Vertreter in der Schweizer Botschaft an uns gewandt haben. Dann sind Sie plötzlich abgehauen. Also haben wir Kito gebeten, Sie zurückzuholen. Wir wollten schließlich keine offizielle Einmischung von thailändischer Seite.«
    »Geld?«
    »In unserem Arsenal«, sagte er, »haben wir wirkungsvollere Aphrodisiaka. Wir können sehr überzeugend sein! Sagen wir einfach, Kito ist eine äußerst kluge Dame. Oder Maschine.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Was auch immer sie ist, eine versierte Lügnerin ist sie auf jeden Fall. Was ich durchaus zu schätzen weiß. Lügen wohnt eine ganz eigene Schönheit inne. Sie entwickeln ein Eigenleben und entbehren nicht einer gewissen Symmetrie. Kito hat Sie wirklich reingelegt! Und jetzt wollen wir doch einmal herausfinden, wie es um Ihren Selbsterhaltungstrieb steht.« Er fuhr mit dem Finger eine Zeile entlang. » Geboren 2056. In London. Die Eltern slowakische Emigranten. Verraten Sie mir doch mal: Warum sind Ihre Eltern nicht aus London geflohen, bevor es abgeriegelt wurde?«
    »Uns wollte niemand haben.«
    »Ich komme selbst aus einem Einwanderungsland. Ich kann nicht glauben, dass es unmöglich war ...«
    »Was soll denn dieses ganze Gerede? Warum verfrachten sie uns

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