Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tote Mädchen

Tote Mädchen

Titel: Tote Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Calder
Vom Netzwerk:
mir gefällt.« Ihre Zunge, die so rau war wie die einer Katze, scheuerte über mein Trommelfell.
    »Dir gefällt, was alle Jungen mögen ...« Ihre Stimme war jetzt wieder in meinem Kopf. »Dir gefällt das Geräusch zerreißender Seide. Fleisch auf kaltem Marmor. Und natürlich: Nein, Sir, bitte, Sir, nein, Sir .«
    Ich zog ihren Kopf nach hinten und küsste sie. Sie saugte mir die Zunge aus dem Mund, als wäre sie ein aufgedunsener Blutegel, und schlug die Zähne hinein; sie trank mein Blut.
    Ihr Speichel bahnte sich seinen Weg direkt in mein Gehirn und löste einen solchen Kick aus, dass ich in die Knie ging.
    »Miststück«, wollte ich sagen; aber ich hatte den Mund voll. Ich spuckte Blut auf den Boden. Sprang auf und trat nach ihr. Primavera stürzte, befreite sich von ihren Fesseln und schlug mit ihren rasiermesserscharfen Klauen nach mir. Ich packte sie an den Haaren und schleifte sie aufs Bett.
    »Tote Mädchen! Lilim!«, sagte ich und verspritzte mit jedem Wort Blut. Dann brach ich zusammen, und die Tagesdecke wurde rot.
    »Du Schwein!. Du verdammter Scheißkerl!«
    » Robotnik !« Meine Worte waren kaum mehr als ein Röcheln. Ich setzte mich auf. »Ich glaube, wir sollten doch etwas dagegen tun«, sagte ich mit der Stimme eines Ertrinkenden. »Vielleicht holst du besser einen Arzt.«
    Zwischen Primaveras enthaarten Oberschenkeln öffneten sich ihre Schamlippen mit dem entsetzlichen Grinsen eines prähistorischen Fisches. Die Vagina dentata knirschte und schnappte.
    »Aber wir sind mit dem Doktorspielen noch nicht fertig«, sagte sie.
    Ihre anderen Lippen zogen sich zurück, und ihre Eckzähne bohrten sich mir wie Eispickel über der linken Brustwarze ins Fleisch. Speichel und Blut liefen mir in Strömen über die Brust.
    Die Nacht brach herein. Wir rasten über den endlosen Friedhof, polterten über Knochen und Stein. Ihr Kuss brachte den Tod ‒ der Zukunft wie der Vergangenheit; alles löste sich auf, der Untergang nahte. Aber unsere Begierde trug uns über das Grab hinaus. Die Nacht gehörte uns.
    Es blitzte.
    Die Toten schüttelten ihre Fäuste; wir warfen sie um wie Kegel, zerquetschten sie unter unseren Rädern. »Oh?«, sagte Primavera. »Habe ich dir wehgetan? Habe ich dir wehgetan? Habe ich ...«
    Donner grollte; die Kutsche raste weiter. Der Finsternis entgegen, dem Regen und dem Schlaf.
    Ich lag mit ausgestreckten Armen und Beinen auf dem Bett und betrachtete mich im Deckenspiegel, während Primavera meine Wunden mit Heftpflaster und Mull versorgte. Nachdem sie ihren Durst gestillt hatte, hatte sie den Zimmerservice angerufen und ‒ neben anderen Pharmazeutika ‒ etwas bestellt, um meine Zunge zu kauterisieren.
    Ich stützte mich auf die Ellbogen, ließ Eis in mein Singha fallen und kühlte den Brand in meinem Mund. Wir waren von den Überresten unseres Mittagessens umgeben: Überall auf dem mit einem dünnen Teppich belegten Boden standen Schalen mit Nudeln, ein Teller mit frittierten Grashüpfern (beiß ihnen den Kopf ab und saug sie aus, hatte Primavera mir geraten) und Tintenfischsuppe mit Thaichili. Magazine und Comics, die Primavera per Fax bestellt hatte, saugten das Massaker auf.
    »Nicht bewegen«, sagte sie, »ich bin gleich fertig.« Sie drückte das Pflaster fest. »Na also. Schon viel besser.«
    »Mann, war das eine Party!«
    »Wir feiern zu viel. Irgendwann gehen wir zu weit.« Sie zündete sich eine Zigarette an, inhalierte einen Mundvoll Rauch, gurgelte damit und spie eine graublaue Wolke in die Luft. »Aber wenn meine Programmierung mir schon nicht erlaubt, dich zu lieben, Iggy, dann kann ich wenigstens dein Blut lieben. Es macht mich rasend! Es war ...« Während Primavera nach einem Superlativ suchte, hielt uns der Spiegel an der Decke fest wie Malignome, die in einem Präparateträger gefangen waren; aber die Gelüste einer Puppe lassen sich nicht in Worte fassen; sie seufzte und fuhr sich mit einem Fingernagel über die linke Brust. »Ich habe meine Brosche verloren. Im Restaurant. Auf der Flucht.«
    »Ich besorge dir eine neue.«
    »Sie war etwas Besonderes.« Sie steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen. »Iggy, bevor sie uns erwischen ‒ falls sie uns erwischen ‒ versprich mir, dass du mich töten wirst, ja?«
    Ich musterte sie im Spiegel. Was für eine Lebensform war sie? »Tote Mädchen« wurden sie genannt. Ein Satz formaler Regeln ohne freien Willen. Ein Abklatsch des Lebens. Seelenlos. Sie zu zerstören sei kein Mord, hieß es. Aber wenn Primavera starb,

Weitere Kostenlose Bücher