Tote Mädchen
(ihr lebloses Kleid funkte auf ihrer Haut wie geladenes Nylon) zwischen meinen Rippen und meinem Arm hindurch und drehte sich so, dass wir ein Tier mit einem Rücken bildeten. Ihren Hintern drückte sie mir nachlässig gegen die Leisten. Ich legte meine Hände auf die halbe Portion ihrer Brüste.
»Wenn die Welt zu Porzellan erstarrt und alles ausgelöscht ist«, sagte sie, »werden die Sterne noch immer da sein. Aber weinen werden sie nicht.«
»Nicht alles muss ausgelöscht werden. Schließlich gibt es Verhütung. Sterilisierung. Abtreibung. So handhaben sie die Sache jedenfalls in Frankreich. Die ›verlorene Generation‹ haben sie das genannt. Ich habe nie verstanden, warum die Nimmerländer ...«
»Sie sind verliebt, Iggy. Verliebt in den Schmerz und den Tod. So wie du auch. Nur dass sie es nicht wissen.«
»Sie wollen es gar nicht wissen.«
»Genau! Sie wollen nur in der Puppenfabrik arbeiten. Sie wollen uns produzieren. Das Ende der Welt ‒ was für ein Jux! Was für ein tolles Spiel!«
»Ein Kriegsspiel. Wie ich es früher mit Myshkin und Beria gespielt habe.«
»SSSS! PAFF!«
»Vergessene Kriege. Imaginäre Kriege.«
»Der Golf. Die Antarktis. Oroonoko. Mars.«
»Liegen alle im Sterben ...«
»RRRM!«
»Es hat ihnen gefallen. Es hat uns allen gefallen ‒ ein Heldentod nach dem anderen ...«
»Ah, Iggy, ich bin getroffen!«
»Ich auch ‒ Arrgh!«
Primavera schüttelte sich wie in einem epileptischen Anfall, und die tote Haut ihres Bustiers wurde zähflüssig. »Ach Iggy«, sagte sie, »du böser, böser Junge!« Ich dachte an das letzte Mal, als wir das Sexspiel gespielt hatten ‒ damals hatte ich geglaubt, sie würde meine Zunge hinunterschlucken (bist du jemals barfuß durch den Needle Park gejoggt?); vor meinem geistigen Auge überlagerten die Gesichter von Myshkin und Beria Primaveras Gesicht ‒ die Augen weit aufgerissen und vor Schreck gelähmt kreischten sie begeistert, während ich aus meinem Spielzeugkarabiner Salve um Salve auf sie abfeuerte (mit Lasern gaben wir uns nicht ab; in den alten Videos, die wir von Myshkins Dad ausgeliehen hatten, benutzte die niemand); meine Freunde gingen zuckend zu Boden. Primavera entspannte sich und entglitt mir ganz langsam. »Ich will nicht mehr reden«, sagte sie. »Okay?« Sie zog mich auf das weiche Bett aus abgestorbenen Kleidern hinunter, nicht weil sie Hunger hatte (ihr Appetit war der Erschöpfung gewichen), sondern weil sie schlafen wollte. Sie rollte sich zusammen, die Wange an meinem Oberschenkel. Nicht mal ein kleiner Biss? Wie kannst du mich nur so enttäuschen? Meine Begierde machte mich so ruhelos, dass ich lange Zeit nicht einschlafen konnte. Ich musste an Moms Märchen denken. Der transsylvanische Prinz . Der böse König Wenzel . Die Katzenmenschen von Prag . Martina von Kleinkunst wird sterilisiert . Nein, nein; das stimmte nicht. Offenbar hatte ich mich in einen Traum verirrt, denn ich befand mich auf einer Art Modeschau, wo mich alle mit »Monsieur, Monsieur! Monsieur Ungaro!« ansprachen. Primavera trug das Haar in einer aufwändigen Frisur; sie führte ein blutrotes Abendkleid vor. Auch ihr marsianischer Schmuck, ihre Handschuhe und ihre Sandaletten waren rot. All das wirkte wie ein Film, der durch eine mit blutrotem Glyzerin verschmierte Linse aufgenommen worden war.
»Iggy?« Ich schreckte aus dem Schlaf. »Da unten ist jemand.«
»Wahrscheinlich ein Hund«, sagte ich. »Schlaf weiter.«
»Aber was ist, wenn ... Da! Hast du das gehört?«
Damals, bevor ich es besser wusste, spielte ich manchmal den starken Mann. »Ich schau mal nach.« Mit dem Arm eines gevierteilten Automaten bewaffnet stieg ich in die Finsternis hinunter. Ich zog die Taschenlampe aus dem Gürtel; hob den Arm und schaltete sie ein. Ein Gummiband sirrte; ein entsetzlicher Schmerz; irgendjemand (so schien es) öffnete mir eine Tür (vielen Dank); dann wurde die Finsternis absolut.
Die Tür ging erneut auf. Die ganze Welt war rot geworden. Aber eine Modenschau war das nicht. Und auch kein Traum. Vor mir loderte ein großes Lagerfeuer; über den Flammen schwebte ein geflügelter Junge mit Pfeil und Bogen. Jungen ‒ von der sterblichen Sorte (und auch ein paar Mädchen), die Köpfe rasiert und in Medicine-Head-Montur ‒ tanzten um einen dröhnenden Ghettoblaster, Bierflaschen in der Hand. Ich lehnte an einem Straßengeländer, die Hände an die Eisenstangen gefesselt. Ich blinzelte, um das Blut aus den Augen zu bekommen; aber die rote Tinte, in die
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