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Tote Mädchen

Tote Mädchen

Titel: Tote Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Calder
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die Welt getaucht worden war, war unauslöschlich.
    »So viel zu deinem genialen Plan«, sagte Primavera. Ich drehte den Kopf in die Richtung ihrer Stimme. »Hier unten!«, sagte sie. Primavera lag in einem Kellerhof und war ebenfalls gefesselt, allerdings nicht mit einem Strick, sondern mit Ketten, die jedem Entfesselungskünstler Albträume bereitet hätten. »Siehst du die Bettgestelle?«
    Um das Lagerfeuer standen, in vertrauter Anordnung, die verbogenen Rahmen improvisierter Todesmaschinen für das nächtliche Ritual bereit; schmale Metallstachel ragten aus dem Asphalt und zwischen den verrosteten Federn empor.
    »Ich schaff es nicht. Ich bin nur eine kleine Puppe. Ich kann diese Ketten nicht zerbrechen.« Ich glaube, ich fing an zu weinen. »Reiß dich zusammen, Iggy, und überleg dir was!«
    »Captain!«, rief einer der Medicine Heads. »Captain Vailant! O Retter Londons! Hier drüben, hier drüben!«
    Eine von einem Fahrrad gezogene Seifenkiste tauchte aus der blutroten Stadtlandschaft auf. In meinem späteren Leben hätte sie mich an eine Rikscha erinnert.
    »Wir haben eine!«, brüllte jemand über das ganze Tamtam hinweg. »Wir haben einen Bauch ! Seht doch!«
    Der Karren blieb stehen, und ein hochgewachsener Mann in Chirurgenkluft aus zweiter Hand trat auf die Straße. Sein Chauffeur stieg ab und reichte ihm einen Gehstock. Der Stock kratzte über den Bordstein. Der Captain war blind.
    »Einen?«, sagte Captain Vailant gereizt, wobei er sich anstrengen musste, um sich über das Tosen des Feuers verständlich zu machen. Er war älter als seine Kumpane; Mitte zwanzig vielleicht; ein Anachronismus in einer Stadt, in der es immer weniger Menschen gelang, die Hürde zwischen Pubertät und Erwachsenenalter zu nehmen. »London ist voller Bäuche, und ihr findet nur einen?«
    Die Medicine Heads blickten betreten zu Boden und kickten herumliegende Holzreste über den Asphalt. »Himmel, Captain, die Bäuche sind gefährlich. Letzte Woche haben sie Bobbo erwischt. Und Danny hat einen Arm verloren.«
    »Wo«, sagte der Captain, in dessen dunkler Brille sich die Flammen spiegelten, »ist der Bauch?« Er sah aus wie ein verkaterter Schakal.
    Ein Junge trat vor (an seinem Gürtel hing eine Schleuder mit einem Infrarotzielfernrohr), nahm den Captain am Arm und führte ihn über die Straße.
    »Bauch?«, fragte der Captain und fuhr mit seinem Stock über das Geländer.
    »Lasst sie in Ruhe«, sagte ich. »Dazu habt ihr kein Recht. Ihr seid gar nicht von der Klinik. Ich werde ...«
    »Wer ist dieser mickrige Junge?«
    »Er war bei ihr«, sagten die Augen des Captains. »Ein Puppenjunkie. Ein Süchtiger.«
    »Ah«, erwiderte der Captain. Er streckte die Hand aus, und nachdem er einen Moment mit der Luft gerungen hatte, bekam er mich am Hals zu fassen. »Weißt du, was du bist? Ein Verräter! Ein mieser kleiner Verräter an deiner Rasse. Sie ist in dir drin. Spürst du es nicht? Sie kriecht in jede einzelne deiner Zellen. Schmutzig, schmutzig, schmutzig.«
    »Wenn ihr ihm was tut, reiß ich euch den Kopf ab!«, schrie Primavera und fluchte auf Serbokroatisch.
    Der Captain stieß ein Fauchen aus. »Ich kann sie bis hierher riechen. Den Bauch. Verdorben. Bösartig. Er muss gesäubert werden. Gepfählt! Ihr Augenblick der Wahrheit steht kurz bevor.« Er spuckte durch das Geländer. »Wie habt ihr sie zu fassen bekommen?«
    »Sie ist noch jung«, erwiderten die Augen. »Ihre Metamorphose ist noch nicht abgeschlossen. Den magischen Staub brauchten wir gar nicht. Sie ... sie ist noch ein Kind.«
    »Hör auf«, sagte der Captain, »mir kommen gleich die Tränen.« Er fuhr mit seinem Stock über das Geländer ‒ ein grässliches Glissando. »Was seid ihr doch für tapfere Soldaten! Ich habe es euch schon früher gesagt: Ich will Puppen, echte Puppen. Drei grünäugige Schlampen pro Nacht. Sie müssen lernen, ihre Medizin zu nehmen. Aber vor allem will ich die Große Schwester. Ich will, dass Titania vor mir kniend gepfählt wird!«
    Der Captain erstarrte und fuhr herum. Sein Stock fiel zu Boden. »Mein Gott ‒ schaut doch!« Er deutete auf einen großen schwarzen Wagen, der, halb im Dunkeln verborgen, in einer Nebenstraße angehalten hatte. Plötzlich hob er die Hände vors Gesicht; bedeckte seine Augen; ließ die Hände wieder sinken. »Ich kann sehen!«, rief er. Er riss sich die Brille herunter und lächelte einfältig. »Möge sich eine Fellatrix mit Haifischzähnen meiner Lenden bemächtigen ‒ ich kann sehen!«
    Und dann

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