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Tote Mädchen

Tote Mädchen

Titel: Tote Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Calder
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Original-Cartier-Automat. Die letzte der Großen Schwestern. Sie ist ...«
    »Sie ist meine Mutter«, fiel ihr Primavera ins Wort, bestürzt angesichts dieser plötzlichen Erkenntnis, aber auch grenzenlos glücklich. »Meine wirkliche Mutter.«
    »Nur Lilith«, sagte Jo, »ist das.«
    Wir fuhren durch die ausgestorbene Betonwildnis, die ein Ebenbild von Troja, Karthago oder Pompeji hätte sein können ‒ überall um uns herum die Spuren vergangener Größe, allesamt dem Untergang geweiht.
    »Whitechapel«, erklärte uns die Frau am Steuer. »Brick Lane.«
    Whitechapel. Da hatten Mom und Dad gewohnt, als sie gerade nach England gekommen waren. Der Bentley fuhr über den Bordstein, um einem ausgebrannten Wagen auszuweichen, und bog in eine Lagerhalle ein.
    Wir stiegen aus, und Jo führte uns über eine riesige, mit Ölflecken übersäte Betonfläche, auf der überall Ersatzteile herumlagen ‒ ein Ort, wie sich Mechaniker den Himmel vorstellen. In der Mitte stand ein verrosteter Samowar. Sie bückte sich, packte einen Eisenring, der in den Boden eingelassen war, und zog daran. Eine Falltür öffnete sich.
    Unter uns verlor sich eine Wendeltreppe in der Unendlichkeit; aus der Tiefe drang ein blauer Lichtschimmer zu uns herauf und warf einen fahlen Strahlenkranz an die Decke der Lagerhalle.
    »Dann mal los«, sagte unsere Begleiterin.

8
Eine Feenkönigin
    Primavera lag schreiend auf dem Bett, die Arme um die Knie geschlungen.
    »Was sein los?«, fragte Kito.
    »Das hat sie Ihnen doch bereits erklärt.« Ich legte Primavera einen Arm um die Taille und half ihr vorsichtig dabei, sich aufzusetzen. »Sie ist krank. Eine Charge Nanomaschinen ist in sie eingedrungen, und sie reißen ihre Matrix in Stücke!«
    Kito schlängelte sich durch ihre säulengleich aufragenden Leibwächter hindurch. »Diese Titania«, sagte sie, »sie wissen über Puppenplage Bescheid?« Sie hob die Hand, um ihrer Scheherazade die Konsequenzen zu demonstrieren, falls sie ihre Geschichte nicht weitererzählte; doch bevor Kito zuschlagen konnte, fiel Primavera vornüber.
    »Sie ist ohnmächtig«, sagte ich. »Wir müssen einen Ihrer Technologen holen. Schnell!«
    Kito strich sich über ihre matronenhaften Hüften. »Vielleicht das nur großer Bluff, Mr. Ignatz?«
    »Hören Sie«, erwiderte ich, »wenn sich nicht bald jemand um sie kümmert, werden Sie die Wahrheit nie erfahren. Die Amerikaner werden Sie an der Nase herumführen, bis Sie ins verdammte Nirwana eingehen. Und das wird in Ihrem Fall verflucht lange dauern!« Ich schloss Primavera in die Arme. »Sehen Sie denn nicht, dass sie krank ist ‒ wirklich krank?«
    Kito war ganz bleich. Eine Chao Me ist es nicht gewohnt, herumkommandiert zu werden. Sie war jedoch zu klug, um ihrem Stolz nachzugeben ‒ dafür war ihre Lage zu verzweifelt.
    »Mr. Bones Nummer zwei«, sagte sie, »bringen unseren Freund zu Privataufzug.«
    Ich warf mir Primavera über die Schulter und folgte dem Androiden durch das noch immer lichtlose Apartment; Kito blieb hinter mir, die Arme über ihren kleinen, funktionslosen Brüsten verschränkt.
    »Keine Sorge«, sagte sie, als ich misstrauisch eine Kamera beäugte, »uns stören niemand.«
    Der Aufzug brachte uns aufs Dach.
    »Unser neuer F&E-Mann wohnen hier oben«, sagte Kito.
    Wir befanden uns in einem hydroponischen Garten; der Duft nachtblühender Pflanzen überlagerte den Gestank, der von den Straßen heraufdrang.
    »Spalanzani?«, rief Kito, »wo sein du, alter Narr?«
    »Madame?« Ein älterer Mann trat hinter einer Gartenlaube hervor, in der Hand einen Strauß Mohnblumen.
    »Ich haben hier Bijouterie , die Sie sollen anschauen.«
    Der Nanotechnologe steckte sich das Sträußchen in ein Knopfloch und kam zu uns herüber. »Funktioniert etwas nicht mehr?« Er trat hinter mich, packte Primavera an den Haaren und hob ihren Kopf an. »Lilim? O sogno d’or! « Er hörte auf, den verrückten Wissenschaftler zu mimen, und umfasste Primaveras Kopf mit großer Behutsamkeit. »Verzeihung! Verzeihung! Mia belta funesta! Eine wie sie habe ich noch nie gesehen.«
    »Sie hat eine Ladung magischen Staub abbekommen«, sagte ich, »und muss gereinigt werden.«
    Er seufzte, holte einen Zwicker hervor (unter Automatenherstellern eine weitverbreitete Affektiertheit) und begann, Primaveras Gesicht abzutasten.
    »Hände weg!«, fuhr ich ihn an. Er wich zurück; wieder hing Primavera schlaff über meiner Schulter.
    »Bitte! Ich möchte nur helfen. Lilim! Ich kann es nicht fassen. Ach, was

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