Tote Mädchen
ging Captain Vailant in Flammen auf.
»Iggy, was passiert da?«
Der Captain rannte auf die Straße, zerrte an seinen Kleidern, stürzte auf den Asphalt und wälzte sich hin und her, während er schrie: »Sie ist es! Packt sie! Sie ist es! Sie ist es!« Doch seine Pfähler hatten sich zerstreut und waren in der Nacht verschwunden; und bald war es auch mit ihm vorbei, seine Leiche eine schwelende Ruine unter dem Scheiterhaufen des geflügelten Gottes der Liebe.
»Iggy!«
»Ich weiß es nicht ‒ ich weiß nicht, was da geschieht!«
Der schwarze Wagen. Die Marke kannte ich. Ein uraltes Modell. Ein Bentley. Eine ganz in Leder gekleidete junge Frau mit Schirmmütze stieg aus und kam auf uns zu. Ihre Augen loderten grün, und ihre schillernde Haut reflektierte wie ein auf Hochglanz polierter Spiegel die Feuersäule, sodass sie einer durchsichtigen Gipsform glich, aus der geschmolzene Bronze schäumte. Vor mir blieb sie stehen, das Gesicht zu einem spöttischen Grinsen verzogen. Ein Fingerschnippen, und ich hörte Ketten zu Boden fallen.
Katzengleich erklomm Primavera die Wände ihres Gefängnisses und zog sich auf den Gehsteig hoch. Sofort machte sie sich daran mich loszubinden, wobei sie unsere Retterin im Blick behielt.
»Wer ist dieser menschliche Abschaum?«, fragte die junge Frau.
»Das ist Iggy. Mein Freund. Sprich nicht so über ihn!«
Die Puppe gähnte. »Auweia! Du bist wirklich noch ein kleines, naives Püppchen! Dein Freund findet seinen Heimweg schon allein. Unsere Herrin möchte dich sehen, sonst niemanden.« Die Puppe drehte sich um und stolzierte zum Wagen zurück.
»Entweder kommen wir beide«, sagte Primavera, »oder keiner von uns.«
»Hm. Wahrscheinlich glaubt ein Teil von dir noch, er sei menschlich. Daran kann ich mich ganz vage erinnern. Na schön, Schätzchen. Nimm ihn mit. Fürs Erste, jedenfalls. Vielleicht belustigt sie das.«
»Und wer ist ›sie‹?«, fragte ich.
»Die Königin natürlich«, erwiderte unsere Retterin. »Die Königin der Puppen.«
Als wir uns dem Wagen näherten, öffnete sich eine Tür. Auf der Rückbank saß ein Mädchen; sie mochte elf oder zwölf Jahre alt sein und hatte sich einen Mantel aus grauem Fuchspelz um die Schultern gelegt ‒ unsere Anstandsdame vermutlich. In ihrem Schoß lag eine Schachtel Pralinen.
»Hallo«, sagte sie. »Ich bin Josephine. Ihr könnt Jo zu mir sagen.« Primavera und ich stiegen zu ihr nach hinten. »Keine Angst«, sagte Jo, »bei uns seid ihr sicher.« Der Motor sprang stotternd an; dann vollführte der Wagen eine Folge von Kängurusprüngen und schlingerte in die Nacht hinein.
»Wohin fahren wir?«, wollte ich wissen.
»Ins East End«, erwiderte Jo. »Zum Puppenpalast. Bitte...« Sie hielt Primavera die Schachtel hin. Primavera biss in eine Praline; eine dunkelrote Flüssigkeit rann ihr über die Hand, zwischen den Fingern hindurch und das Handgelenk hinunter.
»Blut?«, flüsterte Primavera.
»Aber ja«, sagte Jo. »Wo wir hinfahren, leben alle glücklich bis an ihr Lebensende.« Jo sah mich schief an und tupfte sich mit einem Taschentuch die Lippen ab. »Nun ja, fast alle.«
Primavera leckte sich die Finger und ließ das Fenster herunter. »Das ist der Strand «, sagte Jo. »Bald sind wir in der City. Seht ihr das Feuer dort drüben?« Sie deutete in eine Nebenstraße. »Noch mehr Medicine-Head-Abschaum. Titania schickt jede Nacht eine von uns los, damit wir die Ausreißer auflesen, bevor denen das gelingt.«
»Hast du den Mann in Brand gesteckt?«, fragte Primavera.
»Klar. So was kannst du auch bald.«
»Bisher«, entgegnete Primavera, »kann ich gerade mal einen Fernseher anschalten. Indem ich An sage.«
»Wenn deine Haare erst mal schwarz und deine Augen grün sind, dann kannst du alles, was du willst.«
»Nur Titania«, sagte die Fahrerin, »kann alles. Wir übrigen müssen uns mit ein paar Zaubertricks zufriedengeben.«
Jo schien angesichts ihrer Majestätsbeleidigung ein wenig verlegen. »Das habe ich ja auch gemeint«, sagte sie. »Du wirst ein wenig zaubern können. Natürlich kann nur Titania alles .«
Wir rasten durch die stillen Straßen der Innenstadt; auch meine Sitznachbarinnen waren still, ganz davon in Anspruch genommen, ihre Süßigkeiten zu verschlingen.
»Titania«, sagte ich, nachdem sie ihr blutiges Festmahl beendet hatten. »Ist sie eine Puppe?«
»Natürlich ist sie eine Puppe«, erwiderte Jo. »Aber keine wie wir. Sie ist nicht geboren worden, sondern erschaffen. Sie ist ein
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