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Tote Mädchen

Tote Mädchen

Titel: Tote Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Calder
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geboren wurde! Wir hatten ja keine Ahnung. Das zeigt sich erst, wenn sie zwölf oder dreizehn sind. Die Augen werden grün. Leuchtend grün. Und das Gesicht ‒ das ist kein menschliches Gesicht mehr. Es wird ...« Sie hielt inne und runzelte die Stirn. »Hübsch. So unglaublich hübsch! Aber bei einem Kind ist diese Art von Schönheit abscheulich.« Das Buch rutschte ihr vom Schoß und fiel zu Boden. »Arme Katja! Sie war eine Tochter Liliths, und sie haben sie gezwungen, den grünen Lilimstern zu tragen. Dann ging das mit der Lactomanie los. Und sie haben sie mitgenommen. In eine Klinik. Meine kleine Enkeltochter ...«
    Als ich einschlief, hielt ich Titanias Schlüssel unter meinem Kissen fest umklammert.
    Am nächsten Tag radelte ich in die Brick Lane zurück. Der Bentley stand noch immer vor der Lagerhalle. »Titania!«, rief ich. Aber die Lagerhalle war leer. Ich stieg in die Welt des Seven Stars hinab; meine Taschenlampe scheuchte überall Schatten auf.
    Sie war fort. Ich atmete die übelriechende Luft ein und wollte gerade wieder die Treppe hinaufsteigen, als mir ein großer Wassertropfen vor die Füße klatschte; ich zuckte zusammen und fuhr herum. Das Licht der Taschenlampe fiel auf einen bernsteinfarbenen Sack, der an der Decke hing; darin zeichnete sich die Gestalt einer Frau ab, die die Beine angezogen und die Arme um die Brust geschlungen hatte. Sie bestand völlig aus rohem, bebendem Gallert mit Plastik, Metall und Edelsteinen darin. Ich musste würgen, ließ die Taschenlampe fallen und rannte weg.
    Ich raste mit dem Bentley zurück nach Mayfair; zu den Partikelwaffen und Überwachungskameras, die unser Haus umgaben; zurück in die Welt der Menschen.
    »Wo ist sie?«, fragte Vater. Ich sagte es ihm. »Es gibt nichts, was wir tun könnten«, entgegnete er. »Nichts.« Er zupfte an seiner Bettdecke herum. »Ich hätte nie geglaubt, dass das passiert. Nicht mit ihr. Nicht mit Titania!«
    »Wird sie sterben?« Ich wagte kaum, die Worte auszusprechen.
    »Die Philister behaupteten, sie wären bereits tot. ›Tote Mädchen.‹ Ein Nexus formaler Regeln. Ohne wirkliches Bewusstsein. Nein, sie wird nicht sterben. Sie wird jetzt ihr eigenes Leben führen.« Er schlug die Decke zurück und schwang die Beine auf den Boden. »Ich muss zu ihr.« Er wurde von einem Hustenanfall geschüttelt und verhedderte sich in seinem Bettzeug. »Diese Cartier-Puppen!«, sagte er, als er wieder Luft bekam. »Und ich dachte, ich würde elegante Damen erschaffen, die im 18. Jahrhundert zu Hause gewesen wären, sanftmütige, grazile Wesen!« Er deutete auf die Berge von Büchern, die sein Bett umgaben. »Die Dekadenten! Schriftsteller und Künstler, die meine Jugendträume mit Chimären, Vampiren und Sphinxen erfüllt haben. Ah, die verderbte Kindheit ... ich habe es versucht, Peter. Ich habe versucht, mich gegen diese Finsternis zu wehren. Meine subatomaren Maschinen waren darauf programmiert, Engel aus dem Pandämonium zu pflücken. Aber Atome können nur unter dem Aspekt ihrer Interaktion mit dem Betrachter verstanden werden. Wenn wir über die Welt unterhalb der Quantenebene sprechen, sprechen wir über uns selbst.«
    Im Dickicht meiner Gedanken fletschte etwas Entsetzliches die Zähne, sprungbereit und gefährlich. Ich forderte es heraus: »Hast du Titania vergiftet?«
    »Ich habe immer anderen die Schuld geben!«, sprudelte es aus ihm heraus. »Ich habe behauptet, unsere Konkurrenten in Fernost hätten irgendeinen Fehler in ihre Programme eingeschleust. Aber der Virus stammt von mir. Zwischen den Zeilen von Titanias Programm, in dem unendlich komplexen fraktalen Text lauern meine finstersten Kindheitsträume. Und jetzt kommt der Subtext ans Licht, das Gift sickert durch ...« Er hustete.
    »Ich gehe sie holen.«
    »Nein!« Er setzte sich auf. »Ich gehe selbst, morgen früh. Es wird schon dunkel.« Die Sonne leuchtete rot und aufgedunsen über dem Grosvenor Square. Die Juwelenaugen der Automaten meines Vaters funkelten. Er legte mir die Hand auf die Schulter. »Sie kann nicht mehr nach Hause kommen, Peter. Das musst du begreifen. Ihre Fähigkeiten ... sind gewaltig. Ich habe sie in einem Quantenfeld gezüchtet, der Essenz jeglicher Form. In ihr werden Raum und Zeit, Geist und Materie eingehüllt von ... von was? Von einer Realität, die ich nicht erfassen kann. Die physikalischen Gesetze haben für sie keine Geltung. Sie ist eins mit dem Wesen des Universums. Sie ist die Gestalt gewordene Schöpfung!« Er blickte zum Fenster

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