Tote Männer Milch (German Edition)
großes Glas und leerte es in einem Zug. Anschließend nahm sie die Schere zur Hand und schnitt den Gewinncoupon sorgfältig aus der Tüte heraus. Den überflüssigen Rest fackelte sie mit einem Streichholz ab. Alles andere wurde gründlich gespült, gesäubert und weggeräumt. Prüfend sah sie sich um.
„Alles hat seine Ordnung, alles hat seinen Sinn, alles hat ein Ende“, murmelte sie. Isolde griff sich ein Messer.
Paul schlief tief und fest, als sie sein Schlafzimmer betrat. Gemartert hatte er sich heute wie ein Negersklave auf einer karibischen Zuckerrohrplantage, gequält von der Plackerei des Tages, gequält vom Nachtgedanken an seine Nächsten, die seine Tage nicht mehr teilten. Am Leben gehalten vom Rum, den man seinesgleichen einflößte. Den Voodoo-Göttern der Trauer hatte er heute ein Trank-Opfer bereitet, wie es die geliebt-ungeliebte Frau und seine wunderbare Stieftochter verdienten. Eine Flasche Rum hatte den Zorn der Trauergötter besänftigt. So zuckte er jetzt nur mäßig, als ihn Isolde die Nylonstrümpfe um die Handgelenke band. Ein Schmatzen gab Paul bloß von sich, als sie seine Arme kopfüber zurechtlegte, um die Enden der Strümpfe an den Bettpfosten zu verknoten. Auch als sie sich breitbeinig über seinen Schoß kniete, rührte er sich nicht. Und auf das schabende Geräusch, das Isolde erzeugte, als sie ihren Zopf abschnitt, reagierte er auch nicht.
Erst als sie ihren Zopf um seinen Hals legte und ihn verknotete, riss er die Augen auf. Und als sie mit aller Kraft zuzog, wollte er schreien, aber das ging nicht mehr. Er gurgelte wie ein verstopftes Abflussrohr. Und als es ihm gelang, sich mit der einen Hand aus einer Fessel zu lösen, um Isolde an ihren Haaren zu zerren, griff er ins Leere. Als er nicht mehr atmete, brach Isolde auf seinem Körper zusammen. Lag hechelnd auf seiner Brust. In seinem Angstschweiß, unter seinem Arm, der wie ein herabgestürzter Ast auf ihr lag. Sie spürte, wie sich seine Blase entleerte. Der Tod begann mit der Entrümpelung. Isolde war am Ende ihrer Kraft, zu schwach für sarkastische Gedanken.
Als sie wieder erwachte, war ihr speiübel. Sie hatte den beißenden Geruch von Urin und Kot in der Nase. Den bitteren Geschmack von abgestandenem Schweiß im Mund.
Sie warf einen Blick auf den Toten. Paul glotzte sie an wie ein in Sud schwimmender Kalbskopf. Isolde würgte. Sie schaffte es nicht, ihn zu berühren, seine Augen zu schließen. Sie schaffte es noch nicht mal bis zur Toilette. Sie erbrach sich. Gelbe Galle.
13. Kapitel
Keuchend kippte Isolde den letzten Schubkarren mit Erde auf die Wiese. Hier auf diesem brachliegenden Acker, der direkt an ihren Garten grenzte, war sie sicher. Hier sah sie kein Mensch, hier war es totenstill. Nur Mephisto saß als stiller Beobachter auf seinem Ast und hielt Wache. Von hier aus konnte sie direkt in ihren Garten blicken, direkt auf Pauls Grab. Sieht aus wie ein frisch angelegtes Beet, dachte Isolde, während sie ihren schmerzenden Rücken begradigte.
Wenn du eine Blume wärst, dann wärst du bestimmt eine Nelke … Sie hatte seine bleierne Stimme noch im Ohr, den säuerlichen Geschmack seines Atems noch in der Nase, sein Gesicht vor Augen. Dieses Gesicht, das ihrer Meinung nach, keinen Fehl und Tadel, keine Hinterlist barg. Das vorgab ein Schlaraffenland zu sein. Sie hatte sich nicht daran sattsehen können. Sie wollte es behalten. Vorzugsweise lebendig. Aber das Schicksal ließ ihr keine Wahl.
Isolde streifte ihre Handschuhe ab, betrachtete gleichgültig die Blasen an ihren Händen und warf die Handschuhe in den leeren Schubkarren.
„Ich werde Nelken auf sein Grab pflanzen“, murmelte sie.
In den Stunden danach zog sie sich zurück und überließ sich ihrem Groll. Hegte und pflegte, fütterte und tränkte ihn mit Vorwürfen, Erinnerungen, Eingeständnissen und Hass.
Mittlerweile hatte sie vier Menschenleben auf dem Gewissen.
Zeit der Abrechnung. Isolde schrieb ihren letzten Brief.
Liebe Göttinnen und Götter der Liebe, begann sie wie üblich.
Sie zögerte, strich die Anrede durch und ersetzte sie durch Hochverehrte Liebe. Wieder strich sie durch. Diesmal so heftig, dass die spitze Feder das Büttenpapier zerriss. Ihre Hand zitterte und klammerte sich verkrampft an die Schreibfeder. Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte sie es aufs Neue. Diesmal in Druckschrift und in Großbuchstaben und über das ganze Blatt verteilt.
Ihre Feder kratzte – V E R Ä T E R I N!
Lange starrte
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