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Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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meine Umgebung. Die anderen Türen in dieser Halle waren ebenfalls
geschlossen, so als ob Grant versuchte, Beruf und Privatleben voneinander zu
trennen. Auf dem Parkett lag ein chinesischer Teppich, in der Mitte unter dem
Messingkandelaber stand ein großer, ovaler Tisch, aber sonst gab es keine
Möbel, keinen Schmuck, keine Bilder an den mit goldenem Eichenholz getäfelten
Wänden. Ein nüchterner Mann, dieser Thomas Y. Grant.
    Ms. Curtis kam zurück und winkte mir
zu. »Mr. Grant telefoniert gerade«, sagte sie. »Gehen Sie doch einfach hinein
und setzen Sie sich. Er wird gleich für Sie dasein.«
    Ich dankte ihr und betrat das Büro. Auf
den ersten Blick vermittelte es den Eindruck eines typischen
Rechtsanwaltsbüros; an den Wänden die obligatorischen dicken Wälzer, der
übliche Mahagonischreibtisch und die Ledergarnitur. Grant wandte mir den Rücken
zu und war hinter der hohen Lehne seines Schreibtischstuhles nicht zu sehen. Er
sprach mit leiser Stimme in das Telefon. Ms. Curtis schloß die Tür hinter mir.
    Dann bemerkte ich, daß der Raum im
Gegensatz zu den meisten Rechtsanwaltsbüros keine gerahmten Diplome und
Zeugnisse und keine Bilder enthielt, die den Anwalt mit prominenten Mandanten
oder Politikern zeigten. Lächelnd dachte ich, wie sehr sich dieses Büro doch
von Hanks Arbeitsraum unterschied, in dem sich unter anderem ein Indianer aus
dem Zigarrenladen und ein Poster von Uncle Sam befindet mit der Aufschrift:
»Ich will DICH für die Armee der USA.« Dann fiel mir auf, daß es auch bei Grant
ein paar merkwürdige Sachen gab. Ich ging zu den Regalen, die den Kamin
flankierten, und besah sie mir genauer.
    Es schienen bizarre Skulpturen zu sein:
eigentümlich verbogene, unkenntliche Formen aus Holz und Metall, bespickt mit
Federn, Fellstückchen und Knochenteilchen. Ich schaute mir eines der Objekte
genauer an: zwei vergilbte Reißzähne ragten aus einem Stück Reptilienhaut
heraus; bei einem anderen entdeckte ich schartige, abgebrochene Klauen. Eine
Spielart primitiver Kunst? Auf jeden Fall beunruhigend und irgendwie abstoßend.
    Hinter mir sprach Grant immer noch ins
Telefon. Ich ging zur anderen Seite des Kamins hinüber und betrachtete ein Objekt,
das etwas entfernt auf einem separaten Regal stand. Ein Gerüst aus rostigen
Speichen war mit den Federn einer Spottdrossel geschmückt. Zwischen den
Speichen war etwas gespannt, das aussah — aber das konnte wohl nicht wahr sein!
— wie getrocknete Menschenhaut.
    Mich schauderte, und mir fielen die
Worte Trophäen und tote Pracht ein. Eine komische Wortkombination. Ich
wußte nicht mehr, wo ich sie gehört oder gelesen hatte.
    Ich hörte Schritte und wandte mich um.
Thomas Grant kam auf mich zu und streckte mir die Hand entgegen. Einen Moment
lang war ich unsicher, ob ich dem Besitzer so widerlicher Kunstwerke die Hand
geben sollte.
    Grant war nach den üblichen Maßstäben
ein gutaussehender Mann, schlank und muskulös, in einem teuren dunkelblauen
Anzug; vermutlich kostete es ihn keine große Mühe, in Form zu bleiben. Sein
volles, eisengraues Haar war tadellos geschnitten, jede einzelne Strähne saß am
richtigen Platz. Sein markantes Gesicht war nicht mehr völlig faltenlos, wirkte
aber jugendlich straff; den einzigen Makel bildete eine gezackte Narbe auf
seiner linken Wange, die ihm das Aussehen eines romantischen Helden in einem
Melodram verlieh. Sonst schien nichts in seinem Leben ihn so tief berührt zu
haben, daß er Spuren von Schmerz, Trauer oder auch Glück davongetragen hätte.
Als er meine Hand schüttelte, stieg ein Gefühl der Abneigung in mir hoch.
    »Ich sehe, Sie haben sich meine
Fetische angeschaut«, sagte er.
    »Das sind also Fetische!«
    »Nicht im engeren Sinne. Aber ein
Fetisch ist ein Zaubergegenstand, er hat magische Kräfte. Und er hat sicherlich
auch etwas Beunruhigendes.« Seine Augen — grau wie sein Haar — hielten meinen
Blick fest, während er meine Hand losließ. Ihr Ausdruck war schlau, wissend; er
freute sich, daß mich die Fetische verwirrt hatten.
    Ich ging zu den Besucherstühlen vor
seinem Schreibtisch und stellte meinen Aktenkoffer ab. »Ist das eine Art
Ethnokunst?« fragte ich.
    »Ich mache sie selbst.«
    Ich hielt beim Öffnen meines Aktenkoffers
inne. »Sie...?«
    »Ja, ich habe hinten auf dem Grundstück
ein Atelier. Vielleicht möchten Sie es einmal sehen, da Sie sich für die Stücke
zu interessieren scheinen.«
    »...Vielleicht. Wo bekommen Sie das
Material her?«
    Er ging um den Schreibtisch

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