Tote Pracht
bat mich, dir zu sagen, daß sie etwas über Heikkinen erfahren
hat; sie will dir heute abend Genaueres erzählen.«
»Fein. Stell’ mir ein bißchen Chili
warm.« Ich legte auf und rief Judy Fleming, die ehemalige Mrs. Hilderly, in der
vornehmen Blackhawk-Siedlung am East Bay an. Sie war herzlich und bereit, mich
zu empfangen, wenn es mir nichts ausmachte, während des Berufsverkehrs zu ihr
rüber zu fahren. Ich sagte, ich sei so bald wie möglich bei ihr.
Während ich den Nachrichtenraum in
Richtung Flur durchquerte, warf ich einen Blick auf Goodhues Kabine. Die
Nachrichtensprecherin saß wieder an ihrem Schreibtisch neben ihrem Partner, Les
Gates. Gates, den ich von zahllosen Nachrichtensendungen her kannte, erläuterte
das vor ihnen liegende Skript. Goodhue nickte und antwortete, aber sie schien
nicht ganz bei der Sache zu sein. Als ich an ihrer Kabine vorbeiging, schaute
sie auf, und ich fühlte, daß mir ihr Blick bis zur Tür folgte.
6
Blackhawk, die Wohnanlage, wo Hilderlys
frühere Frau und seine Söhne jetzt lebten, war für mich schon immer ein
Phänomen, das nur die letzten Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts hatten
hervorbringen können. Es ist eine exklusive Enklave aus maßgefertigten Häusern,
die sich an die Ausläufer des Mount Diablo schmiegen und durch hohe Mauern,
eine private Sicherheitstruppe und alle vorstellbaren Erholungsmöglichkeiten,
die sicherstellen, daß kein Bewohner sein Vergnügen außerhalb der Anlage suchen
muß, von der Welt abgeschnitten sind. Alles ist auf das Wohlbehagen und die
Bequemlichkeit der vielbeschäftigten Immobilienbesitzer ausgerichtet, von denen
die meisten Unsummen von Geld in den Gewerbegebieten auf dem ehemaligen
Ackerland nahe San Ramon verdienen. Ein Käufer kann ein vollständig möbliertes
und ausgestattetes Haus erwerben, in dem vom Teelöffel bis zum Gästehandtuch
alles vorhanden ist; der örtliche Supermarkt rühmt sich seiner Uhren, die die
Zeit in den Weltstädten wie London, New York und Tokio anzeigen — vermutlich,
damit die Käufer nach Hause eilen und ihre Makler noch vor Börsenschluß anrufen
können. Auch wenn die Blackhawkianer diese Finessen vielleicht schätzen oder
gar benötigen, finde ich einen Ort, wo das Leben keine Ecken und Kanten mehr
hat, ziemlich deprimierend.
Nachdem ich die Wache an einem der Tore
passiert hatte, fuhr ich durch einen Irrgarten mit großen Häusern auf
weitläufigen Grundstücken zum Heim der Flemings, einer Tudorimitation mit einer
großen echten Eiche im Vorgarten. Ich parkte am Straßenrand und ging den
gefliesten Fußweg hinauf, der den ordentlich gestutzten Rasen in zwei Hälften teilte.
Als Judy Fleming die Tür öffnete,
erkannte ich sie als ältere Version der Frau aus Hilderlys Fotoalbum; ihr
kurzes braunes Haar war jetzt von grauen Strähnen durchzogen, und sie war nicht
mehr so rundlich. Ihr Gesicht hatte vielmehr das hagere Aussehen, das von
zahlreichen Hungerkuren herrührt. Sie begrüßte mich freundlich und führte mich
in den hinteren Teil des klimatisierten Hauses, wo ein zwangloses Wohnzimmer
auf einen Swimmingpool hinausführte, in dem es von lärmenden Jugendlichen nur
so wimmelte. Zimmer, Eßbereich und Küche waren miteinander verbunden und
wirkten bewohnt, anders als die offizielleren Räume, an denen wir
vorbeigegangen waren.
Mrs. Fleming bat mich, auf dem Sofa
Platz zu nehmen, und bot mir Kaffee an. Nach einem kurzen Zögern füllte sie
eine zweite Tasse für sich selbst. »Ich sollte eigentlich nicht«, sagte sie.
»Ich trinke zuviel davon. Aber ich bin auf Diät, und der Kaffee hält mich auf
den Beinen.«
Sie sah wirklich erschöpft aus, dachte
ich, als sie sich mir gegenüber in den Schaukelstuhl setzte. Das Licht der
Spätsonne, das durch die Glastüren hinter ihr ins Zimmer drang, unterstrich die
dunklen Ringe unter ihren Augen, und ihre Bewegungen waren müde, fast bleiern.
Ich vermutete, daß ihre Müdigkeit wohl weniger auf eine übertriebene Hungerkur
als vielmehr auf den Tod ihres Exgatten und auf sein geändertes Testament
zurückzuführen war.
Lautes Lachen — von den geschlossenen
Türen etwas gedämpft — erscholl am Schwimmbad, und die Kinder fingen an zu
klatschen; zwei Jungs hatte gerade ein heftig sich wehrendes Mädchen ins Wasser
geworfen. Mrs. Fleming lächelte und sagte: »Es tut gut, hier wieder Lachen zu
hören. Die letzten eineinhalb Wochen waren recht hart. Meine Söhne hatten keine
enge Beziehung zu Perry — das war seine
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