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Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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hatte er sich tatsächlich
mit irgendeiner Religion beschäftigt; das kommt oft vor.«
    Kurt schaute zweifelnd drein. Seine
Mutter sagte: »Das kann ich mir nicht vorstellen. Perry war sein Leben lang
Atheist.«
    »Was sagte er sonst noch?« fragte ich
Kurt.
    »Nicht viel, womit ich etwas anfangen
konnte. Ich machte mir Sorgen; ich hatte ihn noch nie so erlebt. Wie Mama schon
sagte, ich hatte kein besonders enges Verhältnis zu Perry, aber ich wollte
nicht, daß er so... zu spinnen anfing. Glauben Sie, daß er vielleicht verrückt
geworden ist, und deshalb so ein komisches Testament gemacht hat?«
    »Vielleicht.« Ich machte mir im Geiste
eine Notiz, Hilderlys ehemaligen Arbeitgeber zu fragen, an welchem Seminar er
Ende Mai teilgenommen hatte.
    »Na ja«, sagte Kurt. »Was ihn auch
immer bewogen hat, sein Testament zu ändern, es muß ihm ganz schön wichtig
gewesen sein. Ich weiß, daß er meinen Bruder und mich liebte, auch wenn er die
meiste Zeit auf einem anderen Stern lebte.« Bis jetzt hatte Kurts Beschreibung
vom letzten Abendessen mit seinem Vater fast hochmütig geklungen, aber nun
zitterte seine Stimme. Er wandte sich seiner Mutter zu. »Ich wünschte, ich
hätte etwas tun oder sagen können — weißt du, ihm zeigen können, daß ich ihn
mochte.«
    »Kurt, er wußte, daß du ihn mochtest«,
sagte Judy Fleming.
    »Aber etwas fehlte. Nun tut es
mir leid, daß ich ihm all die Jahre kein besserer Sohn war.«
    Rasch ging sie zu ihm hin und legte
ihren Arm um seine Schultern. »Du warst ein guter Sohn. Du warst der
beste, der du unter den gegebenen Umständen sein konntest.«
    Sie hätte Kurts Schuldgefühle leicht
besänftigen können, indem sie darauf hinwies, daß Perry kein richtiger Vater
gewesen war. Um aber die Erinnerung an ihren früheren Mann nicht zu besudeln,
hatte sie sich für den schwereren Weg entschieden. Vielleicht hatte sie, wie
sie meinte, Hilderly enttäuscht, als sie sich scheiden ließ, aber nun, am Ende,
hatte sie ihn doch nicht verraten.
     
     
     

7
     
    Auf dem Weg zurück in die Stadt legte
ich einen Zwischenstopp ein, um für Anne-Marie eine Geburtstagskarte und eine
Hängefuchsie zu erstehen. Als ich vor dem Haus, das sie und Hank an der
Twenty-sixth Street in Noe Valley besitzen, ankam, war es fast zehn Uhr, und
wieder war San Francisco von kühlem Nebel eingehüllt. Mit der Fuchsie in der
Hand stieg ich zur Veranda hinauf und schaute mir die Pflanzenhaken an, die
Anne-Marie über der Tür zu ihrer Wohnung im Erdgeschoß angebracht hatte, einer
war noch frei, und der Platz hatte genau die richtige Größe für mein Geschenk.
Befriedigt wandte ich mich ab, als ein Geräusch auf der anderen Straßenseite
meine Aufmerksamkeit erregte. Ich schaute mich um. Es war niemand zu sehen,
zumindest konnte ich niemanden erkennen, und ich hörte nichts als fernen
Verkehrslärm und entfernte Stimmen.
    Das Gespräch, das ich mit Hank am
Samstag geführt hatte, fiel mir wieder ein, als er von seinem komischen Gefühl
erzählt hatte, jemand habe sich vor der Kanzlei herumgetrieben. »Die Nerven«,
hatte ich gesagt. »Eine typische Großstadtkrankheit«, meinte er. Wir hatten
wohl recht. Ich ging rasch weiter zu der Tür, die zur oberen Wohnung führte,
und läutete.
    Anne-Marie und Hank gehörten zu den
Paaren, die, sobald sie verheiratet waren, feststellten, daß sie nicht zusammenleben
konnten. Sie ist sehr ordentlich, er ein richtiger Schlamper. Sie schätzt einen
geregelten Tagesablauf, er läuft im Chaos zur Hochform auf. Schließlich lösten
sie das Problem, indem sie zwei getrennte Wohnungen im gleichen Gebäude bezogen
— weit genug voneinander entfernt, und doch füreinander nie unerreichbar.
    Der Türöffner summte, und ich trat ein
und stieg die schmale Treppe hinauf. Die Luft war von Chiligeruch erfüllt — ein
Geruch, der mir in der Vergangenheit Übelkeit verursacht hätte, denn Hank hätte
sein Geheimrezept lieber mit ins Grab nehmen sollen, ohne es vorher
auszuprobieren. Letzten Winter hatte Anne-Marie es wutgeladen kritisiert, und
ich hatte ihrem vernichtenden Urteil zugestimmt. Seitdem hatte sich Hank — wenn
auch mit nur mäßigem Erfolg — bemüht, es zu verbessern. Aber das war eigentlich
unwichtig: niemand besuchte Hank wegen des Essens, sondern wegen der guten
Gespräche und seiner netten Gesellschaft.
    Ich hängte meinen Mantel und meine
Tasche auf den Kleiderständer im Flur und ging nach hinten. Hank hatte die
übliche Raumordnung umgekehrt und benutzte das vordere

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