Tote Pracht
auch alles.«
Ich hatte mich geirrt, als ich annahm,
daß Judy Fleming etwas Wichtiges über die Vergangenheit ihres Mannes wissen
könnte. »Ich verstehe, daß Sie keine Erklärung dafür haben, warum Perry sein
Testament änderte«, sagte ich, »aber ich möchte Sie dennoch bitten, die
Begegnungen, die Sie und Ihre Söhne etwa im letzten Jahr mit ihm hatten, zu
überdenken. Wies irgend etwas in seinem Verhalten darauf hin, daß er so etwas
tun könnte?«
Sie dachte nach und strich mit den
Fingern den Stoff ihres Rockes glatt. »Eine Begegnung fällt mir ein. Perry
verhielt sich eigentümlich... aber am besten sprechen Sie mit Kurt darüber. Er
war dabei, nicht ich.« Sie ging zur Glastür, öffnete sie und rief einen der
Jungen am Pool zu sich. Er kam ins Haus, wobei er sich unterwegs noch
abtrocknete.
Kurt war etwa sechzehn und sah den
frühen Fotos von seinem Vater sehr ähnlich. Er war groß und schlaksig, aber er
besaß natürliche Anmut; sein Haar war blond, lockig und etwas lang. Er
schüttelte mir die Hand und begrüßte mich mit einer Direktheit, die für sein
Alter ziemlich ungewöhnlich war.
Nach der Vorstellung setzte sich Kurt
auf die Fliesen des erhöhten Kamins und schlang seine langen Arme um die
nackten Knie. Seine Mutter sagte: »Erzähl Miss McCone von der Geburtstagsfeier
mit Perry.« Zu mir gewandt, fügte sie hinzu: »Die Jungen standen ihm nicht so
nah, als daß sie ›Papa‹ zu ihm sagen wollten. So nennen sie meinen Mann.«
Kurt fragte: »Du meinst, ich soll ihr
von den komischen Sachen erzählen?«
Judy Fleming nickte.
»In Ordnung. Das war Mitte Juni, an
einem Samstag. Ich fuhr mit dem Zug in die Stadt, und wir schauten uns das
Spiel der Giants an. Perry war ziemlich ruhig. Ich dachte, das läge daran, daß
ich mich über sein Geschenk, ein Videospiel, das eigentlich für kleine Kinder gedacht
war, nicht so recht freuen konnte.« Kurt hielt inne und schaute seine Mutter
an. »Das war typisch für ihn. Weißt du noch, als er mir den großen Koalabären
aus Stoff zu Weihnachten schenkte — da war ich dreizehn und scharf auf Indiana
Jones.«
Mrs. Fleming lächelte nur.
»Also gut«, fuhr Kurt fort. »Nach dem
Spiel machten wir uns auf den Rückweg und kehrten in einem mexikanischen
Restaurant in Walnut Creek ein. Perry trank Margaritas. Die machen sie dort
recht stark...« Wieder warf er seiner Mutter einen Blick zu. »Sagt man
wenigstens. Perry trank vier. Nach dem zweiten Drink fing er an zu... labern.«
Er schien das Wort zu genießen; sein Mund schien jede einzelne Silbe schmecken
zu wollen.
»Worüber?« fragte ich.
»Alles mögliche. Zuerst fragte er mich,
ob ich mich schon entschlossen hätte, aufs College zu gehen. Aber bevor ich
noch antworten konnte, sagte er schon, daß die Entscheidungen, die Menschen
früh im Leben treffen, wichtig seien, daß eine falsche Entscheidung das ganze
Leben verändern könne, aber auch eine richtige Entscheidung könne sich später
als nachteilig erweisen, selbst wenn man wisse, daß man das Richtige getan
habe.«
»Das klingt nach ganz normalen
Vater-Sohn-Ratschlägen.«
»Sie kannten Perry nicht. Er hielt
nicht viel von Ratschlägen. Dann begann er von dem Seminar zu erzählen, das er
aus beruflichen Gründen vor einigen Wochen hatte besuchen müssen. Er sagte, daß
er gar nicht daran habe teilnehmen wollen, aber es sei eines der besten Dinge
gewesen, die ihm je passiert seien. ›Es hat mein ganzes Leben verändert, hat er
gesagt. ›Ich weiß, was ich tun muß, um wieder zu meinem früheren Ich
zurückzufinden.‹«
»Das waren seine genauen Worte?«
»Mehr oder weniger.«
»Was für ein Seminar war das denn?«
»Das hat er nicht gesagt, und ich
konnte nicht fragen; dann wurde er wirklich komisch. Dann begann er
mit... also, er sagte: ›Du kannst dich nicht deswegen verrückt machen, weil du
die Folgen deiner Handlungen nicht kontrollieren kannst.‹ Und andere Dinge in
der Art.«
Ich hatte den Eindruck, daß Hilderly versucht
hatte, seinem Sohn die Lehren eines Mode-Psychologen verständlich zu machen — und
nicht recht erfolgreich gewesen war. »Sonst noch etwas?«
»Ja, da war noch etwas über Ideale. Daß
man an ihnen festhalten solle, aber daß man manchmal welche aufgeben müsse, um
den wichtigsten treu bleiben zu können. Und dann redete er von Schuld und
Sühne. Während ich meine Enchiladas essen wollte, schüttete er Margaritas in
sich hinein und quatschte ununterbrochen wie ein Wiedergeborener.«
»Vielleicht
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