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Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Helter Skelter, dem Lied, das Charles Mansons perverse Phantasie
beflügelt hatte. Als ich schließlich die eigenartig atonalen Klänge von Revolution
9 hörte, dachte ich: Ja, das ist Wut, und darum geht es.
    Ich schaute auf. Hank beobachtete mich
und las in meinem Gesichtsausdruck. Er nickte zustimmend, und ich wußte, daß
auch er überlegte, was diese Wut wohl bei Perry Hilderly angerichtet hatte.
    Sobald die Platte zu Ende war,
verkündete Rae, daß sie und Willie jetzt wohl besser gingen. Er war vor fünf
oder sechs Liedern eingeschlafen, mit dem Kopf auf ihrem Schoß, und sie mußte
ihn wachrütteln. Sie dankten Hank und gingen hinunter. Willie stützte sich mit
seinem ganzen Gewicht auf sie.
    Ich trug meine halbvolle Schale Chili
in die Küche, leerte den Inhalt in den Müll und spülte sie, bevor Hank meine
mangelnde Wertschätzung entdecken konnte. Ich überlegte, ob ich noch ein
weiteres Glas Wein trinken sollte, entschloß mich dann aber zum Gehen. Hank
folgte mir in den Flur und griff gerade nach meinem Mantel, als wir auf der
Straße ein explosionsartiges Geräusch hörten.
    Es klang wie ein Schuß.
    Er erstarrte mitten in der Bewegung.
Dann ertönte der Schrei einer Frau — Rae? — von draußen.
    Ich wirbelte herum und rannte die
Treppe hinunter. Ich riß die Tür auf und sah hinaus.
    Willie lag mit dem Gesicht zum Boden
auf dem Bürgersteig vor den Stufen zum Eingang. Er hatte seine Arme über den
Kopf geworfen und lag beängstigend ruhig da.
     
     
     

8
     
    Von der Ecke, wo sie ihren alten
Rambler American geparkt hatte, rannte Rae zu Willie hin. Im Licht der
Straßenlaterne war ihr Gesicht kalkweiß; ihr Atem kam stoßweise. Ich suchte mit
den Augen die Straße ab, aber ich sah niemanden außer ein paar Leuten, die
vorsichtig durch die Türen und Fenster der umliegenden Häuser lugten. Dann
eilte ich die Stufen hinunter, wo sich Rae gerade über Willie beugte.
    Als ich neben ihr niederkniete, stöhnte
er und nahm die Arme von seinem Kopf. Erleichtert stellte ich fest, daß er
weder verwundet noch verletzt war. Als er sich dann hochkämpfte, merkte ich,
daß er vor Schreck nüchtern geworden war. »Gott sei Dank, daß dir nichts
passiert ist!« sagte Rae und brach in Tränen aus.
    »Zum Glück wird man alte Gewohnheiten
so schnell nicht los«, sagte Willie mit unsicherer Stimme. »Ich hörte die Kugel
vorbeipfeifen und warf mich blitzschnell auf den Boden, so wie ich das in
Vietnam gelernt habe.«
    Hinter mir ertönten Schritte. Hank.
»Anne-Marie ruft die Polizei«, sagte er. »Bist du in Ordnung, Willie?«
    Er nickte. »Helft ihr mir auf die
Beine?«
    Inzwischen waren andere Anwohner — manche
in Schlafanzügen — aus ihren Häusern herausgekommen. Sie sahen sich, weitere
Gewalttätigkeiten befürchtend, ängstlich um. Ein leises Murmeln schwoll bald zu
einem Durcheinander von Fragen und Ausrufen an. Ich hörte einen Mann mit
zittriger Stimme sagen: »Mein Gott, schon wieder dieser Heckenschütze!« Während
Hank und Rae Willie auf die Beine halfen, fragte ich die Leute um mich herum,
ob sie etwas gesehen hätten. Die meisten hatten nur den Schuß gehört. Nur ein
Mann hatte aus dem Fenster gesehen, wie eine Gestalt in Richtung Church Street,
wo die Straßenbahnen der Linie J die ganze Nacht hindurch fahren, davongelaufen
war.
    Anne-Marie drängelte sich durch die
Menge. »Ist jemand verletzt?«
    »Willies Reflexe haben ihm das Leben
gerettet«, sagte Hank.
    »Reflexe, von wegen! Wenn ich nicht
stockbesoffen gewesen wäre, wäre ich jetzt tot. Das ist das erste Mal, daß ich davon profitiere. Ich war so wackelig auf den Beinen, daß Rae ihr Auto holen
ging. Ich muß genau in dem Augenblick geschwankt haben, als der Typ abdrückte.
Ich hörte die Kugel ganz in meiner Nähe, bevor ich mich auf den Boden warf; das
Mistding verfehlte meinen Kopf nur um wenige Zentimeter.«
    »Wer hat auf dich geschossen?« fragte ich. »Hast du ihn
gesehen?«
    Willie schüttelte den Kopf, dann warf
er einen Blick auf Rae und sagte: »Komm jetzt, Schatz, hör auf zu weinen.«
    Rae wischte sich die Augen mit ihrem
Ärmel ab und griff nach seinem Arm. Er tätschelte geistesabwesend ihre Hand.
    »Hast du jemanden gesehen?«
fragte ich sie.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein,
nichts.«
    »Willie, wo war er?«
    Er deutete vage auf die andere
Straßenseite.
    »Kannst du die Stelle nicht genauer
bestimmen?«
    »Mein Gott, McCone, ich war
stockbesoffen!«
    Ich schaute dort hinüber und dachte an
die anderen Fälle in der

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