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Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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sind.«
    »Ja, es ist schon schwierig für einen
alternden Linken, die richtige politische Richtung zu finden«, sagte
Anne-Marie.
    »Mach du dich nur lustig. Du bist auch
nicht besser als ich. Wißt ihr, was sie letzte Woche gemacht hat?«
    »Erzähl ja nicht die Geschichte mit den
Trauben!«
    »Wir waren im Bell-Markt und standen
vor den Trauben, als dieser Blödmann, der sich für das soziale Gewissen von Noe
Valley hält, sich an sie heranmachte und sie warnte, die Trauben stünden noch
immer auf der Boykottliste. Sie wußte nicht, ob das nur für die Kernlosen von
Thompson oder für alle Traubensorten galt, und traute sich nicht zu fragen.
Also kauften wir eben gar keine. Aber etwa eine Stunde später schlich sie sich
aus dem Haus zu dem kleinen Obststand an der Ecke.«
    »Ich wollte Trauben.«
    »Ja, aber das Zeug von dem Kerl stammt
nicht mal aus biologisch-dynamischem Anbau.«
    »Und biologisch-dynamisch«, sagte Rae,
»ist angesagt. Wie Haferkleie, Sojaprodukte, Recycling und öffentliche
Verkehrsmittel.«
    »Großartig«, sagte Hank, »gerade jetzt,
wo ich mir endlich ein anständiges Auto gekauft habe. Ich glaube, ich bin ein
ziemlich hoffnungsloser Fall. Bis vor drei Monaten habe ich Asiaten immer noch ›Orientalen‹
genannt. Ausgerechnet ein Mädchen von der High-School mußte mich korrigieren.
Das habe ich jetzt zwar intus, aber ich vergesse immer noch, daß man Schwarze
heute ›Afro-Amerikaner‹ nennt.«
    »Eine Frau von der High-School«,
sagte Anne-Marie.
    »Was?«
    »Eine Frau, nicht ein Mädchen.«
    »Oh, Gott!«
    Allmählich ärgerte mich das Thema.
»Wißt ihr, was das alles ist? Augenwischer ei. Der Egoismus der Reagan-Ära ist
passe, man möchte wieder sozial verantwortlich handeln, weiß aber nicht, wie.
Und wißt ihr, was ich noch glaube? Alle die Leute, die so bestrebt sind,
politisch auf der richtigen Linie zu liegen, sind genau dieselben, die mit
Begeisterung zu joggen anfingen, die kreolische Küche für sich entdeckten und
im BMW herumfahren. Das macht man eben, und es verringert die Schuldgefühle.«
    »Gute Predigt, McCone«, sagte Willie.
    »Danke.«
    »Und war das in den sechziger Jahren
nicht genauso?« fragte Rae. »Nein, wohl nicht. In den Sechzigern ging es um
Frieden, um Liebe und Freiheit...«
    Ich unterbrach sie: »In den Sechzigern
ging es um Wut.«
    Sie starrte mich entgeistert an.
    »Denk mal drüber nach«, sagte ich. »Die
Gruppe ›Studenten für eine demokratische Gesellschaft‹ wurde gegründet, weil
die Studenten wütend darüber waren, was ihre Eltern mit der Welt anstellten,
wütend vor allem über den Krieg in Asien. Und die Bombenattentate der
Weatherman-Gruppe: das war Wut, weil die Revolution nicht das ersehnte Ziel
erreicht hatte. Du hältst vermutlich die Beatles für das flotte Aushängeschild
der Sechziger, aber hast du dir den Text von Happiness Is A Warm Gun oder Piggies je genau angehört? Die blanke Wut über das Establishment.«
    »Shar hat recht«, meinte Hank. »Unsere
Generation wurde aufgezogen in der Erwartung eines sorgenfreien Lebens. Und was
erwartete uns dann? Die Angst vor den Atomwaffen. Die Ermordung der Kennedys
und Martin Luther Kings. Und ein unerklärter Krieg, dessen Ursachen so
kompliziert waren, daß die meisten von uns erst einen Geschichtskurs belegen
mußten, um sie zu verstehen. Wir wurden eingezogen und sollten kämpfen, während
die ältere Generation ihre Nester mit den Einkünften aus den
Verteidigungsabkommen polsterte. Kein Wunder, daß die Leute die Schnauze voll
hatten.«
    Rae runzelte die Stirn. Sie wollte sich
ihre Illusionen nicht rauben lassen. »Aber was ist mit dem Summer of Love ?
Den Hippies?«
    »Die Hippies hatten auch die Schnauze
voll. Es gibt kaum einen besseren Weg, sich am Establishment zu rächen, als
sich die Haare bis zum Hintern wachsen zu lassen, Drogen zu nehmen und in einer
Kommune zu leben.«
    Raes romantische Illusionen waren
zerstört. Sie tat mir ein bißchen leid.
    Offenbar ging es Hank ebenso, denn er
sagte: »Wißt ihr, ich glaube, ich habe das Weiße Album der Beatles hier
irgendwo. Laßt es uns ein letztes Mal anhören. Und dann verabschieden wir uns
von den Sechzigern. Ich hab’ sie, ehrlich gesagt, ziemlich satt.«
    Er arbeitete sich durch einen großen
Stapel LPs und legte das Doppelalbum auf. Es war zerkratzt und klang blechern,
aber wehmütig vertraut. Für eine kurze Weile schien sich die Zeit
zurückzudrehen, zu den Tagen von Rocky Raccoon, Sexy Sadie und Bungalow Bill.
Und zu

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