Tote Pracht
meinen Vordermann auffuhr. Als ich endlich die Mautstelle passiert
hatte und den Doyle Drive hinaufdüste, bereute ich, kein Autotelefon zu haben,
um nachzufragen, ob irgendwelche Nachrichten für mich da waren. Eine Freundin,
die eines besaß, hatte mich vor kurzem von den Vorteilen überzeugt, aber als
ich Hank auf die mögliche Anschaffung ansprach, meinte er nur, daß ich froh
sein solle, eine Telefonkreditkarte von der Kanzlei bekommen zu haben.
Auch in der Stadt herrschte reger
Verkehr, und zappelnd vor Ungeduld erreichte ich schließlich Bernal Heights.
Als ich in der Kanzlei ankam, war es nach fünf, und Ted war nicht mehr an
seinem Schreibtisch. Ich schaute auf die Schiefertafel, ob es etwas Dringendes
gäbe, und sah dann nach dem Posteingang in meinem Büro. Nichts.
Ich hatte gehofft, daß Jess Goodhue mir
den Namen der Detektei durchgeben würde, die Nachforschungen über ihre Mutter
angestellt hatte. Ich rief beim Sender an. Goodhue schien in Eile zu sein.
Nein, sagte sie, sie habe noch keine Zeit gehabt, nach dem Namen der Detektei
zu suchen, und sei nicht sicher, wann sie Zeit dazu fände.
»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie es
versuchen könnten«, sagte ich. »Nachdem ich mit den zwei anderen Erben
gesprochen habe, bin ich überzeugt, daß Tom Grant in dieser Sache eine viel
wichtigere Rolle spielt, als er zugibt.«
Goodhue sagte etwas, das ich nicht
verstand.
»Was?«
»Entschuldigung. Ich habe mit einem
unserer Berichterstatter gesprochen. Warum glauben Sie das mit Grant?«
»Die beiden anderen Erben schienen ihn
an der Personenbeschreibung zu erkennen, obgleich ihnen der Name nichts sagte.
Einer von ihnen war sehr verstört und sagte so etwas wie, daß Grant der rechte
Mann sei.«
»Der rechte Mann?«
»Ja. Ich nehme an, daß...«
»Bleiben Sie dran.« Da war ein
Klonkton, und dann hörte ich, wie in Papieren gewühlt wurde. Als sie wieder an
den Apparat kam, sagte sie: »Sharon, ich muß gehen — eine dringende Konferenz
mit meinem Produzenten. Ich versuch, Sie morgen früh anzurufen. In Ordnung?«
Ich schaute den Hörer ein paar Sekunden
lang wütend an. Es verdroß mich, daß Goodhue mich so schnell abgefertigt hatte.
Dann legte ich ihn auf und stand an meinem Schreibtisch. Ich fühlte mich
ausgebrannt und entnervt. Mein Blick fiel auf das neue Sofa, das ich zu meiner
Entspannung gekauft hatte, und ich ärgerte mich noch mehr über mich selbst. Es
war wirklich dumm, ein schönes Möbelstück zu kaufen, und es dann nicht wie
beabsichtigt zu benutzen.
Ich schälte mich aus meiner Jacke,
stapfte zum Sofa und setzte Aktenkiste, Kamera und Kassettenrecorder unsanft
auf den Boden. Dann legte ich mich hin und betrachtete die Decke. Sie hatte
Risse und Wasserflecken, und von der Rosette über der kannelierten Leuchte
hingen Spinnweben. Ich konzentrierte mich auf die Wand neben dem Kamin. Das war
noch schlimmer.
Seit etwas mehr als einem Jahr
arbeitete ich in diesem Zimmer, und es hatte sechs Monate gedauert, bis ich die
Tapete wirklich wahrnahm. In den Jahren zuvor hatte Hank in diesem Raum
gewohnt. (Weil man sich hier bei All Souls keine goldene Nase verdienen kann,
bietet die Kanzlei, wenn möglich, zumindest eine billige Bleibe an.) Und ich
hatte kaum Gelegenheit gehabt, das Zimmer zu besichtigen oder gar die
Ausstattung zu begutachten. Zweifellos hätte keiner von uns die Tapete
ausgewählt: verblichenes Rosa, Grau und Cremefarben mit Blumen, Girlanden und
Engeln, die abwechselnd in den eiförmigen Mustern auftauchen. Nach meinem
Einzug hatte ich ihr vermutlich so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wie Hank.
Als sie mir dann eines Tages ins Auge
fiel, stellte ich fest, daß sie eine unheimliche Ähnlichkeit mit den Abbildungen
hat, die das weibliche Reproduktionssystem darstellen, und die man meist an den
Wänden in den Untersuchungszimmern von Gynäkologen findet. Als ich dies Hank
gegenüber erwähnte, gab er zu, daß ihm das schon vor langem aufgefallen sei,
ihn aber nur amüsiert habe. Mich amüsierte es nicht; jedesmal wenn ich
von da an die Wände genauer betrachtete, mußte ich an einen gynäkologischen
Stuhl und an ein kaltes Spekulum denken.
Ich schloß die Augen, aber das Muster
der Tapete stand immer noch vor meinem geistigen Auge und störte meine
Konzentration. Ein Auto raste auf der Straße vorbei, und unten im Wohnzimmer,
das auch als Wartezimmer dient, hatte jemand den Fernseher angestellt. Kurz
darauf war ein dumpfer Schlag und die Geräusche einer Verfolgungsjagd aus
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