Tote Pracht
Mann nicht
davon sprach, Einsiedler zu werden. Oder überhaupt auf der Insel zu
leben. Er hatte die Absicht, sich dort drüben zu töten. Obwohl ich ihn kaum
kannte, erschauderte ich. Ich sah seine Kinder, ihre alten jungen Gesichter,
ihre verschwörerischen Blicke. Was würde sein Selbstmord für sie bedeuten, für
die Frau, die ich noch nicht kannte? Für Libby Ross, die vorgab, sich von D. A.
Taylor gelöst zu haben, aber in Wirklichkeit so sehr an ihm hing?
Ich betrachtete ihn einen Augenblick
wortlos, musterte sein zerfurchtes Profil mit der Habichtsnase und fragte mich,
wie er so geworden war. Als ob er meine unausgesprochene Frage gehört hätte,
sagte er: »Ich war nie ein starker Mensch. Aber ich bin nicht geisteskrank,
zumindest nicht im klassischen Sinn. Ich stehle mich nur oft aus der
Wirklichkeit davon. Das tut mir gut.«
»Warum, D. A.?«
»Warum nicht?«
Darauf wußte ich auch keine Antwort.
Nach einer Weile sagte er: »Ich nehme
an, Sie haben Harley und Jake auf dem Weg hierher getroffen.«
»Die Männer aus der ersten Hütte?«
»Das sind meine Cousins. Meine
selbsternannten Hüter. Wenn Mia weg ist, haben sie die Aufgabe, den alten D. A.
zu bewachen, damit er nichts Verrücktes anstellt. Es hat Ärger mit dem Sheriff
gegeben, wissen Sie. Ärger mit den Gästen im Restaurant. Haben sie versucht, Sie
am Kommen zu hindern?«
»Ja.«
»Wie ist es Ihnen gelungen, sie zu
überreden?«
»Ich habe nicht den geringsten
Schimmer.«
Taylor lächelte wirklich — eine kurze
Aufwärtsbewegung seiner Mundwinkel. »Sie meinten vermutlich, daß Sie so
aussehen, als ob Sie auf sich selbst aufpassen könnten. Und sie wissen, daß ich
nicht gewalttätig bin, nur seltsam und unberechenbar. Ich behaupte Harley und
Jake gegenüber steif und fest, daß mir Hog Island gehört. Sie glauben, daß ich
es glaube. Ich war schon immer ein bißchen pervers, wenn es um meine Cousins
ging. Das hat mit ihrer Dummheit zu tun.«
»Sind Sie dumm?«
»Ja, ziemlich. Mit meiner Familie
väterlicherseits war nie viel los. Ihr Überleben verdanken sie nur der
Fähigkeit, kluge, starke Frauen zu finden.« Wieder flackerte das kleine Lächeln
auf. »Na ja. Ich behaupte, klug zu sein, und dabei war die einzige kluge Tat
meines Lebens, daß ich Mia geheiratet habe. Und jetzt zerstöre ich sie nach und
nach.«
Ich beschloß, es vorerst dabei bewenden
zu lassen. »Sie sind gebildet. Wo haben Sie studiert?«
»Universität von Kalifornien, Berkeley —
noch im Goldenen Zeitalter.« Sein schiefes Lächeln erinnerte mich an Hank, wenn
er von jener Zeit sprach.
»Ich war auch in Berkeley, aber ein
paar Jahre später. Haben Sie dort Perry Hilderly und Jenny Ruhl getroffen?«
Er nickte.
»Libby auch?«
»Ja.«
»Aber Sie erinnern sich immer noch
nicht an Tom Grant.«
Er dachte nach. »Nein, auch jetzt
nicht, und ich bin jetzt viel klarer als bei Ihrer Ankunft.«
»Lassen Sie mich ihn beschreiben: Er
ist ein großer Mann, gut gebaut. Dichtes, graues Haar, damals war es vermutlich
braun. Gutaussehend, aber er hat eine Narbe auf der linken Wange. Ich sagte zu
Libby, daß es wie eine Duellverletzung aussieht...«
Taylors Gesicht wurde ganz blaß, dann
lief er rot an. In seine Augen kam Leben, das Feuer flackerte in den vorher
toten Höhlen auf. Er legte seine Hände auf meinen Vorderarm und drückte so fest
zu, daß es schmerzte.
Er sagte etwas, das klang wie: »Right
man.«
Ich packte seine Finger und versuchte
den Druck zu verringern.
»Was?«
»Right man!«
»Was soll das heißen, ›right man‹?«
»The right man«, sagte er zum dritten
Mal. Er lachte bitter, es klang rauh, als ob seine Stimmbänder schon lange
nicht mehr zum Lachen benutzt worden seien. »›The right man‹ war der falsche Mann.«
»Ich verstehe Sie nicht.«
Abrupt ließ er meinen Arm los und fiel
in sich zusammen. Er starrte auf das Brackwasser der Austernbänke. »Ich auch
nicht«, sagte er.
»Wer war ›the right man‹?« fragte ich
erneut.
Er antwortete nicht; sein Atem kam
schnell und stoßweise.
Ich berührte seinen Arm. »D. A.?«
Er schwieg einige Minuten lang, sein
Atem normalisierte sich allmählich wieder. Als er den Kopf hob und mich
anschaute, waren seine Augen so tot wie zuvor.
Höflich sagte er: »Danke, daß Sie
gekommen sind. Bitte sagen Sie Libby schöne Grüße.« Dann kehrte sein Blick
wieder zu der fernen Insel zurück.
11
Taylor hatte sich hinter eine
undurchdringbare psychische Wand zurückgezogen. Ich
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