Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
Curtis
hatte wahrscheinlich schon ziemlichen Schaden angerichtet. Ich wandte mich kurz
ab und atmete flach durch den Mund. Als ich mich wieder sicherer fühlte, ging
ich zu Grant hinüber und prüfte seinen Puls. Natürlich war nichts mehr zu
spüren.
    Als ich mich aufrichtete, fiel mein
Blick auf einen Gegenstand, der einen halben Meter vor mir auf dem Boden lag.
Er sah wie ein teilweise fertiggestellter Fetisch aus — ein schweres
Metallgitter mit Federn, die in die Spalten zwischen den Stangen hineingesteckt
waren. Er war mit angetrocknetem Blut überzogen. Grant war mit einer seiner
widerlichen Kreationen erschlagen worden.
    Trophäen und tote Pracht...
    Diese Gedichtzeile schien in diesem
Arbeitszimmer, das zum Schlachthaus geworden war, auf unheimliche Weise
zuzutreffen. Hier hatte Grant seine ekelerregenden Fetische aus Tier- und
Vogelleichen hergestellt, und hier hatte ihn sein Mörder ereilt.
    Und dann fiel mir eine andere Zeile des
Vierzeilers ein: Netze, den Wind einzufangen. Auch Grant hatte solche
Netze gewebt, hatte seinen Ehrgeiz befriedigt, indem er die Habsucht seiner
Kunden gefördert und sie gegen die einst geliebten Frauen und Kinder verwandt
hatte. Und jetzt?
    Nichts, dachte ich, während ich zum
Haus zurückeilte. Nichts außer leeren Netzen — ein Mensch, der in seinem Leben
nichts Wertvolles geschaffen hat; ein Mensch, der bald nach seiner Todesanzeige
vergessen sein würde.
     
    Ich fand Ms. Curtis auf einem der
Klientenstühle in Grants Büro. Sie starrte auf das Telefon auf dem
Schreibtisch. »Haben Sie die Polizei gerufen?« fragte ich sie.
    Sie schaute auf, als ob sie erstaunt
sei, mich hier zu sehen. »Ich... konnte nicht.«
    »Dann tue ich es jetzt.« Ich wählte die
drei Zahlen und gab der Notrufzentrale die notwendigen Informationen. Dann
setzte ich mich in den anderen Stuhl.
    Angela Curtis hatte geweint. Die Tränen
hatten auf ihren Wangen hellbraune Spuren von ihrer Wimperntusche hinterlassen.
Ich wühlte in meiner Handtasche und reichte ihr ein sauberes Taschentuch. »Wann
haben Sie ihn gefunden?«
    Sie rieb sich über das Gesicht und
gestikulierte müde. »Kurz bevor Sie eintrafen. Ich war im Kino an der Union
Street. Tom hatte mir gesagt, ich solle gehen; er erwartete jemand und wollte
offenbar nicht, daß ich im Haus war.«
    Als ich mit ihm telefoniert hatte,
hatte Grant ein Interview erwähnt, das er nach seiner Verabredung zum
Abendessen noch hatte. Aber warum schickte er sie ins Kino? Warum schickte er
sie nicht einfach nach Hause?
    »Warum kamen Sie zurück?« fragte ich.
    »Ich wohne hier.«
    Wie praktisch für ihn, dachte ich. Eine
Sekretärin, die bei ihm wohnte; keine Frau, die vielleicht einmal ihren Anteil
am Besitz verlangen könnte. Und er hatte sich sicher auch nicht auf Versprechen
und Aussagen eingelassen, die ihr irgendeinen Anspruch auf sein Eigentum
gegeben hätten.
    Sie konnte meine Gedanken lesen, denn
sie sagte: »Es war nicht so, wie Sie denken. Es war nur... einfacher, wenn ich
hier lebte.«
    Dann rieb sie nochmals ihre Wangen,
zerknüllte das Taschentuch und warf es in den Papierkorb. »O Gott, wen glaube
ich denn täuschen zu können? Natürlich war es so. Welcher Idiot könnte denn
etwas anderes glauben?«
    Ich fragte: »Miss Curtis, was passierte,
als Sie nach Hause kamen?«
    »Ich ging ins Studio, und Tom war...«
Sie schüttelte den Kopf und schluckte.
    »Sie sagten vorher, daß ›sie‹ Tom
getötet hätten. Wen meinen Sie?«
    Sie schüttelte verwirrt den Kopf. »Das
habe ich gesagt?«
    »Ja. Haben Sie Grund zu glauben, daß es
sich um mehr als eine Person handelt? Haben Sie jemand im Verdacht?«
    »Ich meinte wohl seine Mandanten. Sie
nahmen und nahmen, und dann waren sie nicht zufrieden.«
    »Hat Tom Ihnen gegenüber je einen alten
Freund namens Perry Hilderly erwähnt?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Tom hat am letzten Wochenende im Mai
an einem Seminar im Cathedral Hill Hotel teilgenommen. Sind Sie sicher, daß
Hilderlys Name nicht in diesem Zusammenhang gefallen ist?«
    »Ganz sicher.«
    »Und verdächtigen Sie einen bestimmten
von seinen Mandanten?«
    »Ich verdächtige sie alle. Jeden
einzelnen. Ich weiß sehr wohl, was für ein Mensch Tom war, Miss McCone. Der
Grund, warum seine Mandanten nicht zufrieden waren, war der, daß er sie zu
Selbstsucht und Grausamkeit angehalten hatte. Ein einfacher Fall von Aktion und
Reaktion. Jemand versucht, Ihnen etwas wegzunehmen — etwas, das dem anderen
rechtmäßig gehört — , und Sie schlagen nach

Weitere Kostenlose Bücher