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Tote Pracht

Tote Pracht

Titel: Tote Pracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Wohngegenden vom Rest der Stadt zu unterscheiden pflegt. Jenseits
der Golden Gate Bridge ertönte ein Nebelhorn und erinnerte mit seinen schmerzlichen
Klagelauten daran, daß der Nebel nicht für immer abgezogen war, sondern auf dem
Meer draußen lauerte. Als ich den Bürgersteig zwischen meinem Auto und Grants
Haus überquerte, hörte ich andere Geräusche: Irgendwo oben auf dem Hügel
rauften Katzen; der Wind raschelte durch die Blätter der Eukalyptusbäume auf
dem riesigen Militärgelände, das hinter dem Wohngebiet lag; in der Nähe der
Lombard Street heulte eine Sirene.
    Dann hörte ich noch andere Geräusche:
schnelle stolpernde Schritte. Als sie näher kamen, vernahm ich heftiges Keuchen
und Schluchzen, und ich erkannte, daß die Laute von Grants Grundstück kamen.
Ich erreichte das Tor in dem Augenblick, in dem seine Sekretärin, Ms. Curtis,
herausrannte und einen wilden gellenden Schrei ausstieß, der immer schriller
wurde und mir Schauer über den Rücken jagte.
    Sie war mehr oder weniger so gekleidet
wie vor zwei Tagen, aber sie wirkte überhaupt nicht mehr ordentlich und steif.
Sie war aschfahl im Gesicht; ihre Züge waren verzerrt, ihre Augen blickten
glasig und gehetzt. Ich packte sie am Arm, und sie schaute mich kurz an, schien
mich aber nicht zu erkennen. Dann verdrehte sie sich den Knöchel und fiel mit
einem Aufschrei vornüber. Während ich sie auffing und sie wieder aufrichtete,
stieß sie keuchend hervor: »Die Polizei! Rufen Sie die Polizei!«
    Ich schaute mich um. Auf der anderen
Straßenseite schauten Leute durchs Fenster, aber sie wagten sich nicht auf die
Straße, wenn jemand schrie — genau wie in Hanks und Anne-Maries Viertel. Ich
führte Ms. Curtis durch das Tor. Sie zuckte zusammen und schüttelte den Kopf.
»Ich kann da nicht wieder reingehen!«
    »Setzen Sie sich hierhin.« Ich führte
sie zu einer Mauer, die um ein Blumenbeet verlief, dann schloß ich das Tor. Als
ich mich umdrehte, hatte sie sich nach vorne gebeugt und die Arme um die Taille
gelegt. »Sagen Sie mir, was passiert ist«, sagte ich angespannt.
    Sie stöhnte. »Tom. Er ist im Studio.
Er... ich glaube, sie haben ihn ermordet.«
    Ich bemerkte, daß sie im Plural sprach,
aber jetzt war nicht der richtige Moment, um ihr Fragen zu stellen. »Wie kommt
man ins Studio?«
    »Da ist ein Weg um das Haus.« Sie
deutete hinter sich nach links.
    »Sie gehen hinein. Rufen Sie die
Polizei.«
    Sie blieb gebückt sitzen.
    »Können Sie das tun?«
    Sie nickte.
    Ich eilte über den Hof und folgte dem
gepflasterten Weg zum hinteren Teil des Grundstücks, wo ein zweiter Hof, der
auch von einer Akazie überschattet wurde, zwischen dem Haus und der Mauer, die
an den Presidio-Park grenzte, lag. Dort hinten war es sehr dunkel, auch wenn
der Mond die Ziegel mit einem silbrigen Schein überzog. In der rechten hinteren
Ecke des Grundstücks sah ich ein kleines Gebäude, das ebenso wie das Haus mit
braunen Schindeln verkleidet und von breitblättrigem Efeu überwachsen war. Ein
schwacher Lichtstrahl fiel durch das einzige enge Fenster.
    Ich ging langsam darauf zu, wobei mir
das Klappern meiner Absätze auf den Ziegeln deutlich in den Ohren klang. Um
mich herum schien alles stillzustehen; selbst die leichte Brise hatte sich
gelegt, und die Eukalyptusblätter raschelten nicht mehr. Aus dem kleinen
Gebäude drang kein Geräusch.
    Die Tür stand einen Spaltbreit offen;
ein schmaler Lichtstreifen fiel auf die Ziegel. Vorsichtig stieß ich die Tür
ganz auf. Das leichte Quietschen ihrer Angeln erschreckte mich.
    Vor mir lag ein Raum mit einem großen
Arbeitstisch in der Mitte; an der dahinterliegenden Wand standen unten Kästen
mit Schubfächern, oben hingen Regalbretter mit Haken. Die anderen Wände waren
kahl und mit weißer Farbe gestrichen. Ein Geruch erfüllte den Raum: metallisch,
ekelhaft süß. Der Geruch, den ich mit dem Tod assoziierte.
    Ich trat ein und ging um den
vollbeladenen Arbeitstisch herum. Grant lag dahinter auf dem Boden. Er lag auf
dem Rücken, sein linker Arm war zur Seite hin ausgestreckt, der rechte über dem
Kopf erhoben, als ob er versuchte, einen Angreifer abzuwehren. Blut bedeckte
sein Gesicht, seine Hände und seine hellbraune Freizeitkleidung. Auch die
Kästen und die Regalbretter waren mit Blut besudelt. Als ich näher trat, sah
ich, daß sein Schädel eingeschlagen und weißer Knochen sichtbar war.
    Ich wollte mich auf den Arbeitstisch
stützen, aber ich wußte, daß ich den Tatort nicht verändern durfte; Ms.

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