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Tote Stimmen

Tote Stimmen

Titel: Tote Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Mosby
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an seiner Haut und den feinen Härchen auf seinen Armen, die sich sträubten. Neil war schon fast eine Woche tot gewesen. Currie fand die Leiche seines Sohnes auf dem Sofa zusammengesackt, seitlich von ihm glühte mattrot ein Heizofen.
    Später – in den darauffolgenden Tagen – sollte sich die Reinigungstruppe gezwungen sehen, die Couch, den Teppich und zehn der Fußbodendielen zu entfernen. Männer mit Masken und dicken Handschuhen mussten kommen, Dutzende von Nadeln aus dem herumliegenden Abfall aufsammeln und Exkremente von der Wand im Flur kratzen. Aber zu Anfang war nur Sam Currie da. Die Schlussfolgerungen, was mit seinem Sohn passiert sein musste, schob er zunächst beiseite, während seine Berufserfahrung sich einschaltete und er Befehle erteilte. Ruhig ging er wieder hinaus in den unbeteiligten Garten und schloss die Haustür hinter sich. Irgendwo im Inneren begriff er, dass dies das Ende seiner Ehe, sein Leben zerstört war. Aber im Moment rief er lediglich seinen Partner an und lehnte sich dann draußen gegen die Hauswand.
    Er dachte an nichts. Gar nichts.
    Eine Woche unentdeckt tot in der Wohnung, das war eine lange Zeit. Wenn er sich zu trinken erlaubte, was jetzt nicht mehr so oft geschah wie früher, dachte Currie viel an jene Woche. In seiner Vorstellung war Neil während dieser Zeit noch am Leben. Zweifellos tot, aber noch irgendwie zu retten, wartete er auf einen Mann, der sich hartnäckig weigerte zu kommen. Ein Mann, der
Prioritäten
setzte, genauso wie er das immer getan hatte. Jede Sekunde dieser Weigerung machte den Kummer noch größer, den Currie fühlte, wenn er mal wieder teilnahmslos herumsaß und irgendeine Wand anstarrte.
    Er stellte sich seinen Sohn wie auf den alten Fotos vor: ein kleiner Junge, verloren, allein und weinend. Das bringt der Tod mit sich. Mit sehr wenigen Ausnahmen verwandelt er die Menschen für immer in unveränderlich starre Opfer. Sie hinterlassen uns Fragezeichen am Ende inhaltsloser Sätze, denen wir selbst einen Sinn verleihen müssen.
     
    Als sie jetzt, zwei Jahre später, in die Siedlung hineinfuhren, glitt sein Blick über die Häuser auf der linken Seite. Neils alte Wohnung konnte man von der Straße nicht sehen, aber er spürte noch, dass sie da war, oder bildete es sich zumindest ein.
    Swann saß am Steuer. »Alles in Ordnung?«
    »Klar«, sagte Currie.
    »Hältst du Ausschau, ob uns da einer auflauert?«
    Currie lächelte verbissen.
    Es gab ärmere Stadtteile, aber Grindlea war berüchtigt als eine schmutzige kleine Insel der Armut und Kriminalität zwischen zwei wohlhabenden Wohngegenden. Es gab nur
eine
richtige Straße, die hineinführte. Manche Polizisten sagten, wenn sie wollten, könnten die Bewohner am Fuß des Hügels eine bewachte Barrikade aufbauen und der Polizei problemlos eine ganze Reihe von Tagen den Zutritt verwehren. Im Gebiet dieser Postleitzahl wohnten wahrscheinlich fünfzig oder sechzig Männer, die dabei sofort mitmachen würden, und viele davon besaßen Handfeuerwaffen. Charlie Drake war hier zu Hause, wie die meisten Mitglieder seiner Truppe.
    Und auch ein Mann namens Frank Carroll.
    »Ich bin nur müde«, sagte Currie.
    Swann hob die Augenbrauen.
Aha
.
    Seit der Entdeckung von Alison Wilcox’ Leiche war die Woche mit Arbeit und Frustration angefüllt gewesen. Die Gerichtsmediziner hatten ihnen nur wenige Anhaltspunkte geliefert, und die meisten von Alisons Freunden und Verwandten hatten ihnen nichts sagen können.
    Stattdessen begann sich ein vertrautes Bild zu ergeben. Alison war eine intelligente, attraktive Studentin gewesen, kannte auch viele Leute, war allerdings in letzter Zeit irgendwie weggetaucht, so was kam eben vor. Soweit man wusste, ging es ihr gut, und ohne bewusst darüber nachzudenken, verschob man deshalb den Kontakt mit ihr auf später:
Alles klar, werde ein andermal nachfragen, wann immer ich gerade dran denke.
Einige ihrer näheren Freunde hatten ihr im Lauf der letzten Woche SMS -Nachrichten oder E-Mails geschickt. Alle hatten Antworten im genau gleichen Wortlaut erhalten. Aber das letzte Mal, dass jemand sie wirklich gesehen oder mit ihr telefoniert hatte, war mehr als zwei Wochen vor ihrem Tod gewesen.
    Die SMS und E-Mails gewährten einen entsetzlichen Einblick in das, was sich in dieser Zeit abgespielt hatte. Sie bewiesen, dass Alisons Mörder sich Zugriff auf ihr Mobiltelefon sowie ihr E-Mail-Postfach samt Passwörtern verschafft hatte und sich für sie ausgab, während sie gefesselt vor sich hin

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