Tote Stimmen
freundlich zu lächeln. Man gewöhnte sich daran, mit dieser Art von Abschaum zu tun zu haben, aber manchmal schockierte es ihn immer noch. Was die Menschen taten und wie sie es schafften, eine solche Einstellung dazu zu haben.
»Wir denken da besonders an eine Sache«, sagte er. »Sie haben sie öfter ans Bett gebunden, oder? Haben sie endlos lange, tagelang ohne Essen und Wasser dort liegen lassen.«
»Das war eines der weniger interessanten Spielchen.«
Swann trat wieder gegen den Stoß Zeitschriften und sah nicht einmal zu Frank hinüber. »Sie wurden vor zwei Jahren entlassen, Frank. Zufällig gab es bald danach mehrere solcher Vorfälle mit Mädchen. Wir haben
großes
Interesse an diesen Dingen, selbst wenn Sie das anders sehen.«
Die ganze Zeit starrte Carroll Currie nur an. Das Gesicht des Mannes war völlig ausdruckslos.
»Hat jemand Sie angerufen?«, fragte er wieder.
»Nein«, sagte Swann. »Wir haben einen Computer, der für uns Namen ausspuckt. Und das meine ich wörtlich …« Die Zeitschriften rutschten auf den Boden. »Hoppla.«
Carroll schaute hinüber, schüttelte den Kopf und sah dann zu Boden. Seine Hände machten schusselige Bewegungen wie zwei Vögel mit gebrochenen Flügeln, er stützte die knochigen Ellbogen auf seinen dünnen Knien auf und legte die aufrechten Handflächen vor dem Gesicht aneinander.
»Wissen Sie, was die im Knast mit Polizisten machen?«, sagte er.
»Ich nehme an, dass Sie uns das sagen können«, antwortete Swann.
»Sie machen einen kaputt«, sagte Swann. »Links habe ich ein Glasauge, und diese Seite meines Gesichts ist gelähmt. Ich bin als behindert anerkannt. Ich brauche eine Ewigkeit, um hier quer durchs Zimmer zu gehen. Und Sie meinen, ich könnte jemanden verletzen?«
Damit hat er ein gutes Argument, dachte Currie. Die Opfer waren anscheinend alle mit bloßen Händen überwältigt worden, und Carroll sah aus, als könne er kaum die Arme heben. Was war also Sache? War er ein widerlicher gebrochener alter Mann, der hier den Rest seiner Tage verbrachte, oder war mehr an ihm als sein Alter und der Gestank?
»Ich fürchte, Sie werden uns begleiten müssen, Frank.«
Carroll schüttelte wieder den Kopf. Dann fasste er langsam nach unten an das Hosenbein seiner Jogginghose, zog es hoch, und ein blasses, unbehaartes Stück Bein kam zum Vorschein, an dem ein schwarzes Band saß. Currie brauchte einen Moment, bis er begriff, was es war. Und als Carroll zu ihm hochblickte, schien er äußerst zufrieden mit sich selbst.
Eine elektronische Fußfessel, fest angebracht. GPS . Mit allem Drum und Dran.
»Damit kann man immer überprüfen, wo ich gewesen bin.«
Currie sah zu Swann hinüber, aber sein Partner neigte den Kopf:
Du bist an der Reihe
. Currie blickte wieder zu Frank Carroll hin und zwang sich zu einem künstlichen Lächeln.
»Das werden wir tun, Mr. Carroll«, sagte er. »Inzwischen holen Sie Ihre Jacke, nehmen Sie sich ruhig Zeit.«
7
Montag, 22. August
Z wei Wochen nach dem Besuch bei Tori in der Anstalt fuhr ich quer durch die Stadt an einen Ort, wo ich seit fast einem Jahr nicht mehr gewesen war.
Die letzten zwei Wochen waren eine Folge von heißen, schwülen Tagen gewesen, und heute wurde man zum ersten Mal daran erinnert, dass der Sommer nicht ewig dauern würde. Die Sonne hatte sich den Vormittag über hinter einem grauen, dunstigen Himmel versteckt. Es war noch warm, aber in der Luft lag schon ein Hauch Winter, das Gefühl, dass Kälte und Frost aus der Ferne stetig näher kamen.
Ich mochte das. Es war eine Erinnerung daran, dass die Zeit verging.
Die letzten zwei Wochen hatte ich, soweit es mir möglich war, wie ein Einsiedler gelebt: Zurückgezogen in meiner Wohnung, erwartete ich jeden Moment ein Hämmern an der Tür. Vorher schon hatte ich nicht gut geschlafen, aber in den ersten paar Tagen nach meinem Ausflug in den Wald war es praktisch unmöglich. Und doch war nichts passiert. Weder war die Polizei erschienen, um mich zu verhaften, noch hatte mir Choc einen Besuch abgestattet. Ich hatte die Nachrichten gesehen, und soweit ich erkennen konnte, war Eddies Leiche nicht gefunden worden.
Die ganze Zeit hatte ich mein Mantra wiederholt, dass nichts geschehen sei. Ich war nicht sicher, ob es funktionierte. Aber aus welchem Grund auch immer – vielleicht einfach, weil Zeit vergangen war – hatten die Schuldgefühle und die Angst nachgelassen, und ich konnte die Dinge in meinem Kopf etwas verwischen; manchmal vergingen ganze Stunden, in
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