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Tote Stimmen

Tote Stimmen

Titel: Tote Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Mosby
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angetrieben, zog er in den Kampf und ließ seine Ana mit gebrochenem Herzen zurück – und mit einem scharfen Dolch, der ihr zur Verteidigung gegen die einfallenden Horden dienen sollte, sollte er nicht zurückkehren.
    Aber als William das Schlachtfeld erreichte, merkte er, dass er aus ganz falschen Gründen gekommen war. Alle Taten seiner Jugend waren aus der Liebe zu Ana erwachsen, und jetzt wurde ihm klar, dass nur sie ihm wichtig war. Aller Ruhm und alles Lob bedeuteten ihm plötzlich nichts mehr. Unter allgemeinem Spott gab er Fersengeld und ritt nach Hause. Bei seiner Ankunft fand er seine ihm treu ergebene Liebste, die den Dolch, den sie von ihm erhalten hatte, über ihrem gebrochenen Herzen gezückt hielt. Er ergriff ihre Hand, bevor sie zustechen konnte …
    Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute glücklich und zufrieden.
    Currie nippte an seinem Wein, während er die Seiten umblätterte. Sein Unterbewusstsein sagte ihm bereits, was kommen würde, bevor es geschah. Er hatte Neil die Geschichte nur zu oft vorgelesen, und sie jetzt wiederzulesen war, als würde man Wege wiederentdecken, die man früher jeden Tag gegangen war, an einem Ort, von dem man lange vergessen hatte, dass es ihn überhaupt gab.
    Die Illustration auf der letzten Seite zeigte Anastasia und William, die sich in ihrer kleinen Strohdachhütte umarmten, wobei über Anastasias wunderschönes Gesicht Freudentränen rannen.
    Ich habe meine Pflicht verletzt
, sagte William zu ihr,
weil ich es tun musste
.
    Nein
, antwortete sie,
du hast eine Tat vollbracht, die wichtiger war, du bist zurückgekehrt, um mich zu retten.
    Ende.
    Damals, so erinnerte er sich, hatte er die Moral der Geschichte allzu schlicht gefunden. Und das war sie natürlich auch. Wer kämpfte denn nun gegen das Heer, das das Land überfiel? Irgendjemand musste ja schließlich aufstehen und die Menschen beschützen. Es musste Ritter und Soldaten geben, die auf dem Schlachtfeld standen und Opfer brachten. Zu denken, dass die Liebe alles überwindet, war auf absurde Weise idealistisch.
    Aber als er jetzt dort saß, der Einband beim Umblättern der letzten Seite raschelte und er das Buch zuschlug, sah er den Reiz der Geschichte. Es war eine Welt, in der die Menschen ihrem Herzen folgten und ohne Rücksicht auf die Konsequenzen das, was sie für richtig hielten, für die taten, die sie gern hatten. Eine Welt, wo der Held immer auftauchte, um die Lage zu retten, und wo er es immer rechtzeitig schaffte.

15
    Donnerstag, 1. September
    E s war ein kalter, klarer Abend gewesen, als wir am Varieté ankamen. Um Viertel vor neun, als wir es verließen, hatte es angefangen zu regnen. Wir kamen die Treppe herunter, und ich spürte, wie die ersten Tropfen fielen. Der Wetterumschwung passte ganz gut zu meiner momentanen Stimmung. Vor zwei Stunden hatte alles so vielversprechend ausgesehen. Jetzt schien es auf der Kippe zu stehen.
    »Scheiße.« Sarah verzog beim Blick zum Himmel das Gesicht und zog an ihrer Samtjacke. »Ich hätte die nicht angezogen, wenn ich gewusst hätte, dass es regnen würde.«
    »Tut mir leid.«
    »Ach, ist ja nicht deine Schuld.«
    »Aber wir hätten bis zum Ende bleiben können«, sagte ich. »Vielleicht hätte es bis dahin wieder aufgehört.«
    »Hätte aber nichts gebracht. Du hast ja schon gekriegt, weswegen du gekommen bist.«
    Sie hakte sich bei mir unter, und wir gingen ungefähr in die Richtung des Taxistands. Zuvor hatte es sich angenehm angefühlt, so zu gehen, jetzt war die Stimmung zwischen uns ein wenig gespannt. Vielleicht bildete ich es mir auch ein, meine Emotionen waren ziemlich durcheinander. Einen Moment war ich voller Panik, im nächsten empfand ich ruhigen, rationalen Ärger, weil ich es zugelassen hatte, dass die Vorstellung mich verstörte.
    Sarah schmiegte sich an mich.
    »Also«, fragte sie, »sagst du mir, wer Tori ist?«
    Ich versuchte zu lächeln. »Es ist also so offensichtlich, hm?«
    »Ja. Du bist ja fast grün im Gesicht geworden.«
    Sobald Thom Stanley ihren Namen ausgesprochen hatte, spürte ich, wie etwas in mir in Bewegung geriet, und mir wurde leicht übel. Ich hatte Sarahs Hand losgelassen, als hätte ich Angst vor ihr.
    Sie kommt ein bisschen merkwürdig rüber,
erinnerte ich mich jetzt
. Ich weiß nicht einmal, ob es jemand ist, der gestorben ist.
    Einige Leute warteten auf Taxis, und wir stellten uns in die Schlange. Vor uns war eine Gruppe betrunkener, rauflustiger Jungs, die sich im Regen

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