Tote Stimmen
Sie sahen eine Luftaufnahme der Landschaft vor sich. Hauptsächlich Felder, durch die sich von der Seite her zwei kleine Straßen schlängelten.
Dass man den genauen Standort des Mörders zu bestimmten Zeitpunkten kannte, brachte viel Arbeit und Frustration mit sich. Weil er alle Orte mit Überwachungskameras vermieden hatte, blieb ihnen nur die schwache Hoffnung, dass vielleicht ein Anwohner etwas gesehen haben könnte. Es war eher unwahrscheinlich, dass jemand eine Erinnerung in Verbindung mit einer so bestimmten Zeit hatte, bis jetzt war niemandem etwas eingefallen; aber es mussten noch Befragungen durchgeführt werden, die weitere Mitglieder des Teams beschäftigen würden.
Und Currie hatte aus einem weiteren Grund einen richtigen Hass auf diese GPS -Ansichten entwickelt. Sie machten ihn wütend, weil er wusste, dass der Mörder
genau da
gewesen war. Bei den meisten Ermittlungen zu einem Mordfall hatte man einen einzigen Ort: den, an dem das Verbrechen begangen wurde; aber dieser Fall lieferte ihnen immer neue, genau nachgewiesene Aufenthaltsorte des Mörders zu anderen Zeiten. Sie hatten also Zugriff auf die Orte, an denen er gewesen war. Und deshalb kam es einem gemein vor, dass er trotzdem so völlig ungreifbar blieb. Es war, als zeige er ihnen sein Gesicht, wende sich aber dann schnell ab, bevor sie hinschauen konnten. Zu verdammt clever.
»Keine Überwachungskameras in der Nähe«, sagte der Techniker.
»Natürlich nicht.« Currie war ungeduldig. Das hatten sie schon gehabt. »Dafür ist er zu schlau.«
»Aber vielleicht nicht so schlau, wie Sie denken.«
»Wie meinen Sie das?«
Der Kollege antwortete nicht, sondern minimierte das Fenster und klickte dann die zweite Nachricht von oben an. Das neue Fenster wurde langsam geladen.
»Wollen Sie damit sagen, wir haben ihn auf Film?«
»Haben wir. Allerdings sollten Sie sich nicht zu viel erhoffen.«
Currie hätte den Mann am liebsten gepackt und geschüttelt.
Nicht zu viel erhoffen.
Nach einer Sekunde erschien das neue Foto, wieder ein Luftbild. Dieses schien einen Teil der Stadtmitte darzustellen. Das Zentrum des Bildschirms war von einem großen grauen Quadrat ausgefüllt.
»Das alte Einkaufszentrum in der Stadt«, sagte Currie, obwohl man dem Komplex mit dieser Bezeichnung zu viel Ehre erwies. Es war eher eine breite, überdachte Fußgängerpassage mit Geschäften zu beiden Seiten. Currie erinnerte sich dunkel, dass es schon öfter Forderungen gegeben hatte, wegen der Skateboard-Fahrer dort überall Überwachungskameras zu installieren. Aber es war nie etwas geschehen.
Der Techniker sagte: »Er hat die SMS von drinnen geschickt, am Freitag kurz nach Mittag, da er wusste, dass es im Einkaufszentrum sehr voll sein würde.«
»Es gibt keine Überwachungskameras da drin«, sagte Currie. »Vielleicht ein paar in den Geschäften, aber nicht in der Passage selbst.«
»Nein. Aber es gibt nur drei Eingänge.« Er zoomte etwas weg und fuhr mit dem Mauszeiger zwischen dem oberen und unteren Ende und der Seite des Zentrums hin und her. Nach einem Klick auf eine Schaltfläche erschienen mehrere kleine gelbe Kreise auf dem Satellitenbild, dann lehnte er sich stolz zurück. »Wir haben Kameras auf allen drei Straßen.«
Currie beugte sich vor und schätzte die ungefähre Entfernung. Die obere und die untere Kamera waren sehr nah dran. Die an der Seite schien weiter entfernt, aber es war doch möglich, dass sie etwas eingefangen hatte.
»Sie erfassen alle Ein- und Ausgänge?«, fragte er.
»Alle herkömmlichen. Die Rampen und Treppen.«
Currie überlegte. Es gab theoretisch wahrscheinlich hundert andere Wege, die der Mörder hätte einschlagen können, Hintereingänge der Geschäfte vielleicht, deshalb würde dies nichts beweisen. Aber andererseits …
»Können Sie das Material aus den Kameras an den drei Eingängen, sagen wir, jeweils eine Stunde vor und nach der SMS , herausfiltern?«
»Ja. Es sei denn, er ist früher reingegangen und hat sich die ganze Zeit dort aufgehalten.«
»Das hätte er wohl kaum getan«, sagte Swann.
Currie nickte. »Das Risiko wäre zu groß, dass sich jemand an ihn erinnert. Außerdem würde das heißen, dass er über die Kameras Bescheid wusste. Warum wäre er da nicht einfach woanders hingegangen?«
Er sah seinen Partner an und bemerkte ein schwaches Aufblitzen in seinen Augen. Beweiskräftig oder nicht, es war jedenfalls wahrscheinlich, dass sie den Mörder auf Film hatten. Wenn sie das Filmmaterial von jeweils einer
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