Tote Stimmen
mehr, hier zu sein. Den ganzen Tag hatte ich sie mit SMS -Nachrichten und Anrufen bombardiert, im Büro angerufen, sogar im Krankenhaus, und war jetzt bei ihrer Wohnung aufgekreuzt. Alles aufgrund von … nichts. Was würde sie denken, wenn sie an die Tür kam?
Na ja, das kannst du ja jetzt herausfinden.
Ich schloss den Wagen ab, ging die Straße hoch und klopfte an die Tür.
Keine Antwort. Kein Anzeichen, dass sich drinnen etwas rührte.
Ich wartete eine Minute und klopfte wieder.
Nichts.
Es war eine Enttäuschung. Die Frustration steigerte sich, und ich langte zum Türgriff. Während ich mich noch fragte, was ich verdammt noch mal da eigentlich tat, drehte sich der Griff, und die Tür öffnete sich zur Küche hin und knarrte zweimal, bis sie an die Wand stieß.
»Tori, ich bin’s, Dave.«
Ich trat in die Küche und rief noch einmal. Wenn sie hier war, und sie musste hier sein, wollte ich nicht, dass meine Absichten unklar waren. Ich wollte jedenfalls nicht reinplatzen, wenn sie mit einem anderen im Bett war.
»Hallo?«
Ich hab mir Sorgen gemacht. Keine Antwort, und die Tür nicht abgeschlossen.
Ich horchte genau und hörte nichts als die tiefe, lautlose Stille eines leeren Hauses.
Ich schloss die Haustür, und ein kleiner Stapel Post kam auf dem Küchenboden dahinter zum Vorschein, wie man ihn nach einem Wochenende außer Haus vorfindet. Ich kniete nieder, sammelte die Umschläge auf und ging sie durch. Ein mit der Hand beschrifteter Umschlag, eine Gasrechnung und etwas, das wie ein Kontoauszug aussah. Nicht viel, in anderen Worten, aber es passte nicht zu Tori, die Sachen herumliegen zu lassen.
Ich rümpfte die Nase. Es war auch stickig hier drin. Auf der Seite stand ein Teller mit Krümeln und ein paar trockenen Überresten von etwas, das nach Tomatensauce und nicht frisch aussah.
Vielleicht ist sie verreist,
dachte ich
.
Ohne die Tür abzuschließen?
Ich ging in das stockdunkle Wohnzimmer, fand den Lichtschalter, und der Raum war von warmem, gelbem Leben erfüllt. Der Anblick weckte eine Flut von Erinnerungen. Als wir noch zusammen waren, saßen wir viel hier herum. Es gab kleine Unterschiede, aber das meiste war noch so, wie ich es in Erinnerung hatte. Die leuchtend gelben Wände, die orangefarbenen Überwürfe auf den Sofas, Nippes auf den Regalen. Und überall waren Bücher. Sie hatte sie immer in der Nähe wie Freunde, als ob sie jeden Moment eines brauchen könne und zumindest ein paar in Reichweite haben müsse.
»Tori?«
Ich ging weiter. Die hintere Tür war zumindest abgeschlossen, und der Schlüssel steckte innen. Am Fuß der Treppe zögerte ich und schaute zum dunklen Treppenabsatz hoch. Ich konnte mir vorstellen, was Rob sagen würde, wenn er mich jetzt sähe. Ich handelte in guter Absicht, letztendlich war es aber doch Stalking. Doch dann dachte ich an Julie, wie sie gefesselt in ihrer Wohnung gelegen hatte. Und niemand gekommen war.
Die Tür stand weit offen, und ich bekam keine Antwort.
Oben auf dem Treppenabsatz blieb ich stehen und horchte, aber alles war still. Die Schlafzimmertür war zu. Ich klopfte leise, aber keine Antwort kam. Selbst wenn sie geschlafen hätte, wäre sie doch inzwischen wach geworden. Ich streckte die Hand aus, schubste die Tür auf und erwartete, das Zimmer leer zu finden.
Und das tat ich auch.
Sofort fühlte ich mich, als laufe mir kaltes Wasser vom Kopf bis zu den Füßen herunter und spüle eine ganze Schicht Spannung weg. Ich lehnte mich an den Türrahmen und holte tief Luft. Einesteils hatte ich doch geglaubt, dass etwas passiert sei. Etwas wie bei Julie.
Idiot.
Ihr Bett war nicht gemacht, die dicke weiße Steppdecke wie eine Zuckerstange zusammengedreht, und auf dem verkrumpelten Kissen war ein alter Abdruck von ihrem Kopf. Das andere Kissen war unberührt, bemerkte ich. Als sie das letzte Mal hier geschlafen hatte, war sie allein gewesen …
Und dann merkte ich, was ich da eigentlich tat, und fand es nicht in Ordnung.
Über dem Bett hing ein Regalbrett mit Büchern. Abendlektüre. Ich erinnerte mich, dass ich eines Nachts, als sie im Bad war, da lag, ein Buch heruntergenommen hatte und darin blätterte. Es stellte sich als Geschenk eines Ex-Freundes heraus. Er hatte eine Notiz auf die Titelseite geschrieben. Ich stellte es schnell wieder zurück. Denn ich begriff, dass ich einen unerlaubten Blick auf ihre Intimsphäre geworfen hatte, auf eine Zeit in ihrem Leben, in die ich nicht gehörte. Und genau das tat ich auch jetzt.
Ich wollte
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