Tote Stimmen
ich es tun wollte, war jetzt die rechte Zeit dafür.
»Rob«, sagte ich. »Erinnerst du dich, wie wir uns kennengelernt haben?«
Er runzelte die Stirn, das Bierglas am Mund. »Ja.«
»Erinnerst du dich, wo wir waren? Sag mir’s nicht. Sag mir nur, ob du dich erinnerst.«
Er stellte langsam das Glas ab.
»Wovon redest du?«
»Hör mir einfach zu. Erinnerst du dich daran?«
Ich war sicher, dass er sich erinnerte: Es war in der Bar des Studentenwerks gewesen. Er führte seine Gedankenleser-Nummer vor, und als er an meinem Tisch stehen blieb, unterhielten wir uns.
»Ja, ich erinnere mich. Aber was hat das …«
»Nichts, aber ich will, dass du mir einen Gefallen tust. Was immer geschieht, will ich, dass du dich daran erinnerst. Okay?«
Er starrte mich an.
»Dave – was zum Teufel ist los?«
»Tu das einfach für mich.«
Ich faltete die E-Mail, steckte sie in die Tasche und stand dann auf.
»Du gehst wieder?«
»Ja, sagte ich. »Sachen treffen, Leute erledigen.«
»Aber …«
»Bis morgen.« Ich grüßte mit erhobener Hand, drehte mich nicht um, als ich wegging, und dachte:
Um Gottes willen, komm mir nicht nach
. »Mach’s gut, Rob.«
Ich ließ den Wagen in der Tiefgarage unter dem Einkaufszentrum und ging durch die Straßen der Stadtmitte. Es war nach sechs, der Himmel schon dunkelblau, und die ersten Pünktchen nächtlicher Sterne erschienen. Die beleuchteten Schaufenster hoben sich in der Dämmerung ab, und die Straßen waren voller Menschen.
Als ich oben an der gepflasterten Gasse ankam, in der unser Büro lag, blieb ich stehen und schaute die Straße hinunter, an der Blue Bar und dem Feinkostladen vorbei. Ein paar Grüppchen näherten sich aus beiden Richtungen, aber ich sah keine Polizei auf mich warten. Und Rob war erst vor einer halben Stunde weggegangen. Ich war ziemlich sicher, dass er es erwähnt hätte, wäre die Polizei schon da gewesen.
Aber bald würden sie da sein. Ich begriff immer noch nicht ganz, was passierte, war aber sicher, dass sie mich bald suchen würden. Der Mann hatte mir gesagt, ich solle zum Haus meiner Eltern fahren, was bedeutete, dass sie zu meiner Wohnung kommen würden. Wenn sie das taten, würden sie wahrscheinlich auch ins Büro kommen. Vielleicht wussten sie noch nichts vom Haus meiner Eltern.
Ich ging in Richtung Büro.
Tut mir leid, dass ich dein E-Mail-Postfach zuspamme.
Du kannst die hier ja löschen.
Seit der Zeit, als ich in Toris Wohnung auf den Brief gestoßen war, hatte ich mich ein wenig beruhigt und die Gelegenheit gehabt, alles zu durchdenken. Und ich hatte mich dafür entschieden, zunächst das zu tun, was der Mann mir befohlen hatte. Wenn man erst einmal beschlossen hat, wie man vorgehen will, muss man sich wenigstens über eine Sache weniger Gedanken machen. Ohne meine Panik zu beachten, musste ich mir jetzt eine Reihe von Aufgaben vornehmen und dabei die Dinge analysieren und bewerten.
Kurzfristig hieß das, der Polizei auszuweichen, zum Haus meiner Eltern zu fahren und abzuwarten, was sich tat. Im weiteren Verlauf würde ich nach Gelegenheiten suchen, durch Abklopfen der Schwachstellen etwas herauszubekommen. Mal sehen, was sich machen ließ, wenn der Mann gerade nicht aufpasste.
Aber das Wichtigste zuerst. Ich musste diese E-Mail loswerden.
Das Licht in der Rezeption brannte noch, aber ich warf einen Blick hinein und sah, dass die junge Frau schon nach Hause gegangen war. Und die Tür vorn war abgeschlossen, ein weiteres gutes Zeichen. Ich nahm meine Schlüsselkarte heraus und ging hinein, die Tür schloss sich hinter mir, und der magnetische Verschluss rastete ein.
Ich horchte einen Moment.
Von irgendwo auf den oberen Stockwerken erscholl das Zuschlagen einer Korridortür. Danach nichts mehr.
Ich ging die Treppe hoch und nahm mir vor, mich zu entspannen. Ruhig bleiben. Gleichmäßig atmen. Ich hatte jede Menge Zeit.
Unser Büro war dunkel und still, nur zwei grüne Standby-Lämpchen an den Computern waren sichtbar, und das leise Summen elektronischer Geräte lag in der Luft. Ohne das Licht anzuschalten, ging ich hinüber und bewegte die Maus, damit der Monitor aufleuchtete. Sofort war der Bildschirm in dem schummrigen Raum fast schmerzhaft hell. Nachdem ich meinen Usernamen und mein Passwort eingegeben hatte, begann der Computer mit dem langen, schwierigen Prozess, über das Leben nachzusinnen und sich zu fragen, was es damit auf sich hatte.
Ein schriller, unangenehmer Ton erklang im Büro.
Über der Tür blinkte das rote
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