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Tote Stimmen

Tote Stimmen

Titel: Tote Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Mosby
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trotzdem ab.
    »Hallo?«
    »Mary?«
    Sie gab keine Antwort, war sich nicht sicher, warum. Stattdessen zog sie mit der freien Hand den Vorhang zu und schottete sich damit von der Straße unten ab.
    »Bist du dran?«
    »Ja«, sagte sie.
    »Ich bin’s.«
    »Ich weiß. Warum rufst du mich an?«
    Er stockte, klang unsicher.
    »Die Polizei hat sich gemeldet …«
    »Das weiß ich auch.« Der Zorn kam hoch. »Und du hast ihnen meine Nummer gegeben. Wie konntest du das tun? Habe ich dir etwa erlaubt, irgendwelchen Leuten von meinen Angelegenheiten zu erzählen? Kannst du dich an so etwas erinnern?«
    »Nein.« Seine Stimme klang fast weinerlich. »Es tut mir leid.«
    »Du hast keine Ahnung, wie schwer es für mich war, mein Leben geheimzuhalten. Keine Ahnung. Und mit einem … du hast mich in Gefahr gebracht.«
    »Moment mal …« Er klang, als wolle er anfangen, mit ihr zu streiten, aber dann schien er sich zu besinnen. Er schwieg. »Hör mal. Es tut mir leid, okay? Ich wusste nicht, dass es so wichtig ist.«
    »Das ist es aber.«
    »Ich sagte, es tut mir leid. Was erwartest du sonst noch? Er wollte wissen, wo er dich finden könnte, und klang kaum so, als würde er bald aufgeben.«
    Mary machte die Augen zu und rieb sich die Stirn, sie wollte auflegen. Wollte einfach, dass all dies zu Ende wäre. Aber sie konnte nicht.
    Im Lauf der Jahre hatte sie zahlreiche Emotionen durchlebt. Sie hatte Zorn empfunden gegenüber den Menschen, die nichts taten, Angst vor dem, was ihr Vater als Nächstes tun würde, und es hatte sogar Hoffnung gegeben, dass irgendwo irgendjemand ihnen helfen würde, denn das taten gute Menschen doch. Aber ein Gedanke war die ganze Zeit immer präsent gewesen. Er hatte sie in jener Nacht der Verzweiflung im Schnee erfüllt, war fast das Einzige gewesen, das sie noch fühlen konnte.
Ich muss ihn beschützen
. Ihren lieben kleinen Bruder.
Ich muss dafür sorgen, dass ihm nichts passiert
.
    Dieser Wunsch war das Einzige gewesen, das sie weitermachen ließ.
    »Mary?«
    Sie machte die Augen auf und sagte: »Ist das der einzige Grund, weshalb du anrufst? Um mir zu sagen, dass die Polizei dich angerufen hat?«
    »Nein …« Er zögerte. »Ich … brauche noch Geld.«
    Das hätte sie sich eigentlich denken können. Warum sonst sollte er anrufen?
    »Geld«, sagte sie.
    »Ja. Ich … ich brauch eben etwas.«
    Mary stellte sich ihren Bruder vor. Was immer er sagte oder tat, sie sah ihn immer auf die gleiche Weise vor sich, und das würde auch immer so bleiben. Seine Augen waren groß und blau, sein Gesicht so reglos, dass es nicht einmal zitterte. Nur ein kleiner Junge, der sich vor den schrecklichen Dingen versteckte, die er sah, der sich manchmal so in sich selbst verkroch, dass sie ihn geduldig wieder hervorlocken musste. Und sie fühlte sich dann bei jedem tröstlichen Wort, das sie sagte, verantwortlich. Egal, was er tat, er würde immer dieser kleine Junge sein, und sie würde immer genauso fühlen.
    »Mary?«
    Sie sagte: »Wie viel brauchst du?«
     
    Später saß sie mit untergeschlagenen Beinen im Wohnzimmer auf der Couch und dachte noch über ihren Bruder nach, als das Telefon wieder klingelte. Diesmal sah sie nicht nach der Nummer, da sie dachte, das sei er wieder, und nahm einfach ab.
    »Hallo?«
    Niemand antwortete.
    Sie schaute auf das Display. Die Nummer war unterdrückt.
    Marys Haut kribbelte plötzlich. Sie spürte jedes Härchen, jede feine weiße Narbe, die es irgendwo versteckt auf ihrem Körper gab.
    Langsam, als befinde sich etwas Gefährliches bei ihr im Zimmer, streckte sie die Beine aus und stand auf.
    Sie sagte nichts mehr, hielt aber den Hörer fest ans Gesicht gepresst und horchte aufmerksam auf das Schweigen am anderen Ende.
    Da war jemand.
    Jemand, der genauso horchte.
    Sie ging die Checkliste im Kopf durch. Dieses Fenster, das Fenster dort, die Haustür, alle abgeschlossen. Der nächste Fluchtweg war, sollte es nötig sein, das Geflecht von Rohren draußen vor ihrem Schlafzimmerfenster. Die Checkliste war ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Mary prüfte sie jedes Mal, wenn sie in der Nacht ein Knarren oder einen dumpfen Laut von den Rohrleitungen oben hörte.
    Sie ging durchs Zimmer, horchte auf das tiefe Schweigen am Telefon, schaltete das Licht im Wohnzimmer aus und kam wieder ans Fenster zurück.
    Sie kauerte sich zusammen und schob den Vorhang ein bisschen zur Seite.
    Da stand ein Auto. Direkt gegenüber vom Haus.
    Sie spähte hinunter, konnte aber zuerst die Einzelheiten

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