Tote Stimmen
die ich in Stanleys Wohnung sah, hätte man wahrscheinlich an Ort und Stelle einen Werbespot drehen können.
Die Küche war groß, durch Strahler erhellt und voller Kochgerätschaften aus Edelstahl. Er ging auf die gegenüberliegende Seite einer Kücheninsel, und wir standen uns an der Arbeitsfläche gegenüber. Das war mir gerade recht.
»Ich hoffe, Sie hatten keinen Drink erwartet.«
»Nein, danke. Ist schon gut.«
Er verschränkte die Arme. »Also. Worum geht es bei dem Material?«
Auf dem Weg hierher hatte ich nachgedacht und beschlossen, nicht sofort mit Tori anzufangen. Ich wollte am Anfang ganz normal mit ihm reden und seine Reaktionen beurteilen. Es war möglich, dass ich ihn durch das Versprechen, den geplanten Artikel zu streichen, dazu bekommen konnte, die Wahrheit zu sagen.
»Erinnern Sie sich an das Paar, mit dem Sie am Freitag gesprochen haben?«, sagte ich. »Nathan und Nancy Phillips.«
Er legte die Stirn in Falten. »Nein.«
»Sie sprachen in der ersten Hälfte mit ihnen über ihren Sohn Andrew.«
Die Falten wurden tiefer. Er begann mit dem Zeigefinger an seinen Ellbogen zu tippen.
Ich vermutete, dass er schnell kombinierte und zu schließen versuchte, in welche Richtung das Gespräch lief, bevor wir am Ziel waren.
»Ach, ja«, sagte er. »Andrew.«
»Den wir erfunden haben.«
Der Finger hörte auf zu tippen. Nur ganz kurz.
»Wir haben Ihre Vorstellung auf Band«, sagte ich.
Er gab keine Antwort.
»Wir haben auch das Filmmaterial, wie Sie die Kette versteckten, als Sie die beiden zu Hause besuchten. Möchten Sie das kommentieren?«
Nichts als ein Stirnrunzeln. Er begann mich zu nerven.
»Nein? Vielleicht sollten Sie sich ausrechnen, welchen Schaden dies Ihrer Karriere zufügen wird«, sagte ich. »So wie ich es sehe, ist das eine ziemlich einfache Rechnung.«
Er schüttelte den Kopf. »Als ob es darauf ankäme.«
»Sie geben also zu, die ganze Geschichte erfunden zu haben?«
»Natürlich.« Er schnaubte. »Wir sind doch beide Profis. Wir wissen doch, wie es funktioniert, oder?«
»Ich weiß, dass Sie ein Schwindler sind.«
»Du meine Güte.« Er lehnte sich an den Tisch, starrte zwischen seinen Händen hinunter und versuchte sich zu sammeln. Als er aufsah, war sein Gesicht voller Abscheu. »Meinen Sie, ich mache mir etwas daraus, was jemand wie
Sie
denkt? Ich bin nicht so wie Sie. Was ich mache, tut niemandem weh. Ich habe immer nur Trost gespendet.«
»Sie beuten die Leute aus.«
»Ich?«
Er lachte fast. »Sie widern mich an. Gehen Sie.«
Sein Gesicht war hassverzerrt, aber ich sah auch tiefere Gefühle.
Plötzlich wurde mir klar, dass ich keine Ahnung hatte, was hier eigentlich lief.
Er hatte die Nachricht über Nathan und Nancy nicht erwartet, aber tat so, als sei sie unerheblich.
Meine Hand war immer noch ganz nah am Messer. Ich bewegte sie leicht, um den Griff zu packen. Für alle Fälle.
»Mr. Stanley …«
»Nein«, sagte er. »Nein. Wir beide kennen den wirklichen Grund, warum Sie hier sind. Sie sind sehr schlau, nicht wahr? Aber am Ende werden Sie genauso schlecht dastehen. Dafür werde ich sorgen. Jetzt gehen Sie einfach.«
»Wovon sprechen Sie?«
»Sie sind Abschaum.«
»Ich verstehe …«
»Sie wissen ganz genau, wovon ich spreche«, sagte er. »Von
ihr
.«
»Tori?«
Sofort sah er wieder auf den Tisch hinunter.
Ich wich einen Schritt zurück. »Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie sprechen.«
»Sie haben mich hereingelegt, damit ich ihren Namen sage. Tun Sie nicht so, als wäre es nicht so gewesen. Und dann habe ich ihr Bild gestern Abend im Fernsehen gesehen. Ein böser kleiner Trick. Aber sehr schlau.«
Die Rädchen in meinem Kopf begannen sich zu drehen, und einzelne Teile fingen an zusammenzupassen.
»Ich war es nicht, der Sie hereingelegt hat«, sagte ich.
»Ach ja. Wer denn dann?«
Als ich nach ein paar Sekunden nicht antwortete, sah er zu mir auf. Und ich erkannte zumindest eines der Gefühle, die sich hinter seinem Zorn verbargen. Es war Angst.
Ich sagte: »Ich glaube, Sie sollten mit mir sprechen, Thom.«
Es fing mit einem einfachen weißen Briefumschlag an. Er war Donnerstagmorgen abgegeben worden und lag unten bei der Rezeption in Stanleys Fach. Er war unfrankiert, ohne Hinweis auf den Absender, und trug nur seinen Namen auf der vorderen Seite.
»Was war drin?«, sagte ich.
»Geld. Viel Geld. Fünftausend Pfund.«
Aber das war alles, keine beiliegende Erklärung, und er sagte mir, das habe ihn verwirrt. Er hatte keine
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