Tote Wasser (German Edition)
glaubte, den Schmerz von Wehen darin zu erkennen. Als würde sie ihren Sohn noch einmal zur Welt bringen, schrie sie ihren qualvollen Schmerz heraus. Markham stand vor ihr und hielt sie fest umklammert, bis sie wieder ruhiger wurde.
«Jerry war unser einziges Kind», sagte er, während er über den Kopf seiner Frau hinweg Sandy ansah. «Nach ihm konnte Maria keine Kinder mehr bekommen.»
Sandy wollte weg von hier, wollte ihnen Zeit geben, um ungestört zu trauern. Es war schrecklich für ihn, in diesem großen, aufgeräumten Zimmer zu sitzen und zuzusehen, wie die Frau, die er als stark und fröhlich kannte, zerbrach. Doch morgen früh würde die Neue von North Uist hergeflogen kommen, und sie würde wissen wollen, was er herausgefunden hatte. Dies hier war die einzige Chance für ihn, seine Fragen zu stellen, ehe sie die Ermittlungen übernahm.
«Was für einen Wagen fuhr Jerry?», fragte er.
«Einen Alfa Romeo.» Markham hielt seine Frau immer noch an die Brust gedrückt, wiegte sie sacht hin und her, als würde er ein greinendes Baby trösten. «So einen kleinen Sportwagen. Rot, versteht sich. Eine lächerliche Kiste. Schon älter. Er hat ihn sich gekauft, als er nach London zog.»
«Maria sagte, Jerry hätte hier gearbeitet.» Sandy konnte sich nicht vorstellen, was ein angesagter Journalist einer Londoner Zeitung auf den Shetlands treiben mochte. Wie konnte man sich dort für das interessieren, was hier geschah?
«Jerry sagte, er sei hinter einer Story her.» Markham sprach leise. Maria war jetzt so ruhig, dass Sandy sich fragte, ob sie das Bewusstsein verloren, sich mit ihrem Schluchzen völlig verausgabt hatte. Markham strich ihr übers Haar. «Anscheinend konnte er seine Chefin davon überzeugen, dass man der Geschichte nachgehen solle und dass er der beste Mann dafür sei, wegen seiner Verbindungen vor Ort. So konnte er ein paar Tage nach Hause kommen, bekam seine Spesen erstattet und dazu die Möglichkeit, einen Knüller zu landen.»
«Worum ging es in der Story?» Von draußen hörte man lautes Gelächter. Ein paar Einheimische, die im Hotel gegessen hatten und sich jetzt auf den Weg zu ihren Autos und nach Hause machten.
Markham zuckte die Schultern. «Er hat mich gefragt, ob ich ihm Zugang zu Sullom Voe verschaffen könne. Ob ich dort immer noch jemanden kenne. Ich glaubte zwar nicht, dass sich die Zeitung für das Ölterminal interessieren könnte. Schließlich gibt es bald kein Öl mehr, das alles ist Schnee von gestern. Aber ich habe ihm einen Termin mit dem Pressesprecher verschafft.»
«Und da war er also heute?»
«Ja», sagte Markham. «Da war er heute. Wir haben ihn zum Essen zurückerwartet; als er nicht kam, dachten wir, er hätte ein paar alte Freunde getroffen. Du weißt ja, wie das hier ist, wenn einer heimkommt. Ich habe versucht, ihn anzurufen, aber er ist nicht drangegangen. Kein Empfang, dachten wir. Dass ihm was zugestoßen sein könnte, ist mir gar nicht in den Sinn gekommen. Manchmal, wenn er in London war, haben wir uns Sorgen um ihn gemacht. Aber doch nicht hier. Hier gehen wir davon aus, dass niemandem was passiert.»
Er redete noch, als Sandy aufstand. Sandy glaubte, dass Markham ihn jetzt nur ungern gehen ließ. Sein Gesicht war von der Anstrengung, die Fassung zu bewahren, ganz starr. Wenn er mit Maria allein wäre, würde er sich nicht mehr beherrschen können.
Wieder fuhr Sandy Richtung Norden. Aus den Fenstern von Jimmys Haus drang immer noch Licht. Am liebsten hätte er angehalten und ihn um Rat gefragt. ‹Was soll ich als Erstes tun? Sag mir, wie ich vorgehen soll.› Doch er fuhr weiter und kehrte aufs Revier zurück, setzte sich an den Computer, um das Kennzeichen von Jerry Markhams Wagen zu ermitteln, rief Davy Cooper an, der am Jachthafen von Aith Wache hielt, und bat ihn, zum Parkplatz zu gehen und nachzusehen, ob das Auto dort stehe. Sandy war allerdings nichts aufgefallen, und er glaubte, dass er so einen ungewöhnlichen Wagen nicht übersehen hätte. Morag hatte ihm eine Nachricht hinterlassen, dass sie für die Leute aus Inverness eine Unterkunft in Lerwick besorgt habe.
In den frühen Morgenstunden kehrte Sandy in seine Wohnung zurück. Er machte den Fernseher an und drehte den Ton ganz leise – unter ihm wohnte eine junge Familie, und er wollte sie nicht wecken. Er trank ein Tennent’s Lager aus der Dose, ohne sich die Mühe zu machen, erst ein Glas zu holen, dann stellte er sich den Wecker und ging schlafen. Er schlief sofort ein. Selbst
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