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Tote Wasser (German Edition)

Tote Wasser (German Edition)

Titel: Tote Wasser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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suchen, damit er sich verabschieden konnte.

Kapitel 45
    P erez ließ seinen Wagen schließlich doch am Pier stehen und ging zu Fuß zu Hendersons Haus hinauf. Er ging langsam, achtete die ganze Zeit auf ungewöhnliche Geräusche. Draußen auf dem Wasser hörte man ein Boot. Möglicherweise ein paar Jungen, die nach ihren Korbreusen fischten und auf der ersten Ausfahrt der Saison von der schlechten Sicht und dem Wetterwechsel überrascht worden waren. Er fühlte sich, als wäre es schon Mitternacht, dabei war es erst sieben Uhr abends. In der Haa brachte Duncan Hunter wahrscheinlich gerade Cassie zu Bett. Bestimmt vergaß er, ihr eine Geschichte vorzulesen. Als Perez bei Hendersons Haus ankam, blieb er noch einmal stehen und lauschte. Nichts Außergewöhnliches. Er blickte auf sein Handy und sah, dass er Empfang hatte. Also erledigte er einen Anruf.
    Dann ging er im Kopf seine Suche auf der
Marie-Louise
noch einmal durch. An Deck hatte er nichts gefunden. Keine Fußspuren, die Vicki Hewitt hätten begeistern können. Alles war ordentlich. Die Seile aufgewickelt und die Vertäuung fest. Das passte zu seinem Bild von Rhona Laing als Seglerin. Selbst wenn sie in Panik geriet, würde sie alles nach Vorschrift machen. Und unter Deck war es das Gleiche. Die Kajüte war makellos aufgeräumt. Kein Bettzeug auf der Koje, kein Schlafsack, also hatte Rhona nicht vorgehabt, über Nacht auf dem Boot zu bleiben. Auch in der kleinen Kombüse fand Perez alles an seinem Platz. War es vielleicht diese Disziplin gewesen, die John Henderson anfangs angezogen hatte? Hatte er die zwanghafte Ordnungsliebe der Staatsanwältin als Zeichen genommen, dass er eine verwandte Seele gefunden hatte? Jemanden, der sich in jeder Hinsicht von Agnes mit ihrer kreativen Nachlässigkeit und ihrem ausgelassenen Wesen unterschied? In der Kombüse hatte Perez die Hand ausgestreckt und den Kessel auf dem Butangaskocher berührt. Er war kalt.
    Mit der Taschenlampe hatte er den Boden der Kajüte abgesucht, aber nichts Interessantes gefunden. Erst als er schon umkehren und auf Deck und zu Sandy Wilson zurückgehen wollte, erspähte er plötzlich einen Fetzen Papier, der hinter eine Uhr in einem Holzkasten gestopft war. Nicht unbedingt der Ort, an den ein Stück Papier durch Zufall geriet, aber vielleicht hatte es ja jemand dorthin gesteckt, damit die Uhr nicht schepperte. Perez hatte das Papier hervorgezogen und es im Licht der Taschenlampe betrachtet. Eine Quittung von Jamieson’s, dem Wollgeschäft in Lerwick. Was hatte er denn erwartet? Eine Postkarte mit drei Geigenspielern darauf?
    Vicki Hewitt war mit ihrer Arbeit in Hendersons Haus inzwischen fertig, und es war zugesperrt. Durch die vorhanglosen Fenster fiel kein Licht nach draußen. Perez ging in die Garage und entdeckte eine Hintertür, durch die er in die Küche kam. Nichts rührte sich. Er tastete sich an der Wand entlang, um einen Lichtschalter zu finden, und musste dann in der plötzlichen Helligkeit blinzeln. Alles war leblos, alles aufgeräumt. Er hatte gehofft, dass die Staatsanwältin vielleicht hierhergekommen wäre, um die letzte Gelegenheit zu nutzen, ihren einstigen Geliebten zu beweinen. Er hatte sich vorgestellt, wie sie in traurige Gedanken versunken dasaß, womöglich mit einem großen Glas Whisky in der Hand. Doch anscheinend hatte er sich geirrt. Langsam begann die Angst an ihm zu nagen. Er spürte, wie sein Herz rascher schlug, während er die Tür zu jedem Zimmer im Erdgeschoss öffnete. Das Haus wirkte kalt und tot. Kaum zu glauben, dass Henderson noch vor weniger als einer Woche hier gewohnt hatte.
    Die steile Holztreppe zum Dachgeschoss rannte er fast hinauf. An der schrägen Wand konnte er keinen Lichtschalter finden und knipste deshalb eine Stehlampe an. Ihr Licht warf seltsame Schatten im Raum, ließ die Farben leuchtend und fremd aussehen. Immer noch keine Spur von der Staatsanwältin. An den Wänden lehnten ein paar von Agnes’ Gemälden. Bilder, an denen sie im letzten Stadium ihrer Krankheit noch gearbeitet hatte. An einer Wand stand eine Skizze, die Perez bei seinem ersten Besuch hier oben nicht aufgefallen war und die er auch jetzt nur bemerkte, weil das Licht der Stehlampe direkt darauf schien. Er erkannte sogleich die Vorarbeit zu dem Gemälde, das in Rhonas Schlafzimmer im Alten Schulhaus hing. Das große Seestück. Hatte Henderson es Rhona geschenkt, nachdem Agnes gestorben war? Zum Abschied? Das passte so gar nicht zu diesem Mann, von dem er geglaubt hatte, er

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