Tote Wasser (German Edition)
weit ging, dass sie noch gewusst hätte, wie der Offizier hieß.
Markhams Arme waren über der Brust gekreuzt, was seine Haltung noch unnatürlicher erscheinen ließ; ganz bestimmt war er nicht in das Boot gefallen, nachdem er den Schlag erhalten hatte. Zu seinen Füßen stand eine schmale schwarze Aktentasche, groß genug, um ein kleines Notebook darin unterzubringen, nicht jedoch einen handelsüblichen Laptop. Falls in der Tasche irgendetwas gewesen ist, was uns weiterhelfen könnte, schoss es Willow durch den Kopf, hätte es der Mörder oder die Mörderin vermutlich mitgenommen. Der restliche Inhalt der Tasche hatte dem Mörder kein Kopfzerbrechen bereitet, weil er wusste, dass niemand daraus einen Schluss auf seine Identität ziehen konnte. Gut möglich sogar – wenn man bedachte, wie auffällig die Tasche platziert war –, dass der Mörder es regelrecht darauf anlegte, dass die Polizei zu sehen bekam, was noch darin war. Willow nahm sich vor, darüber später noch einmal nachzudenken.
Abgesehen von der Erinnerung an ihren Freund aus der Army löste der Anblick des Toten in dem Boot eine wahre Flut von Bildern in ihr aus. Die Gestalt eines Ritters, der in einer mittelalterlichen Kirche in eine Grabplatte gemeißelt war: aufrecht und steif, die Arme über der Brust gekreuzt. Ein Wikinger, dem die Seebestattung eines Kriegers zuteilwurde und den man in seinem Langboot, das dann in Brand gesetzt würde, aufs Meer hinausschickte. Plötzlich merkte sie, dass Sandy Wilson sie anblickte. Vielleicht versuchte er ja schon seit geraumer Zeit, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
«Ma’am?» Mit zaghafter Stimme.
«Um Himmels willen, Sandy. ‹Willow› reicht vollkommen. Ein bescheuerter Name, aber den habe ich nun mal am Hals.»
Ein Grinsen belohnte sie. «Vicki meint, dass sie den ganzen Nachmittag hier zu tun hat. Ich habe mich gefragt, was Sie jetzt als Nächstes vorhaben.»
Willow dachte nach. «Sie haben gesagt, dass Markhams Vater ihm für gestern Nachmittag einen Besuchstermin beim Ölterminal vermittelt hatte?»
«Bei Sullom Voe. Ja. Einer von den Sicherheitsleuten hat ihn reingelassen, und der Vater hatte ein Treffen mit dem Pressesprecher vereinbart.»
«Dann fahren wir dahin. Zuerst allerdings sollten wir noch kurz mit Ihrer Staatsanwältin reden.»
Sandy schnitt eine Grimasse, aus der Willow schloss, dass Rhona Laing auf den Shetlands nicht gerade beliebt war.
«Na, kommen Sie schon, Sergeant. Bei ihr gibt es bestimmt eine gute Tasse Kaffee. Und danach gehen wir in einer Bar was essen, auf meine Kosten.»
Er grinste breit, und Willow erkannte, dass sie Sandy Wilson schon für sich gewonnen hatte.
Kapitel 7
R hona Laing beobachtete, wie Sandy Wilson und diese neue Kommissarin vom Jachthafen aus den Hang zu ihrem Haus heraufkamen. Dabei stand sie genau an der gleichen Stelle, von der aus sie gestern gesehen hatte, wie die Jolle auf dem Wasser trieb.
Ich hätte mich nicht darum kümmern sollen, dachte sie. Seit sie Markhams Leiche entdeckt hatte, ließ sich dieser Gedanke nicht mehr verscheuchen. Ich hätte zulassen sollen, dass die Flut die Jolle aufs Meer hinaustreibt. Nichts tun. Nichts sagen.
Dann riss sie sich zusammen. So zu denken war albern. Zur Ablenkung sah sie sich die junge Frau neben Sandy genauer an. Sie war groß und schlaksig, hatte langes, zerzaustes Haar. Kein Make-up. Ihre Hose war so lang, dass sie an den Säumen ausgefranst war, dort, wo sie immer unter die Absätze geriet. Dazu ein ausgeleierter Baumwollpulli in einem undefinierbaren Braun, der gut und gerne aus einem Secondhandladen stammen mochte. Über dem Ganzen eine blaue Outdoorjacke mit offenem Reißverschluss, die im Wind flatterte. Die mangelnde Sorgfalt, die diese Frau ihrem äußeren Erscheinungsbild zukommen ließ, kränkte Rhona geradezu. War ihr denn nicht klar, dass eine Frau, die es in ihrem Beruf zu etwas bringen wollte, sich ein klein wenig Mühe geben musste? Rhona kam zu dem Schluss, dass man Inspector Reeves bloß befördert hatte, weil die Highlands and Islands Police meinte, irgendeine ungeschriebene Frauenquote erfüllen zu müssen. Dieser Gedanke gefiel ihr. Willow Reeves konnte ihr nicht gefährlich werden. Als die beiden das Alte Schulhaus umrundeten, um zur Vorderseite zu gelangen, verlor Rhona die Kommissarin und Sandy kurz aus dem Blickfeld. Sie holte tief Luft und wartete darauf, dass die Türglocke läutete.
Im Haus, mit seinen klaren Linien und der mustergültigen Ordnung, wirkte die
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