Tote Wasser (German Edition)
sie auf. «Ich liebe das Meer», sagte sie. «Schon immer. Die erfolgreiche Kanzlei in Edinburgh hat mir nicht häufig die Gelegenheit gelassen, auf dem Wasser zu sein. Und auf den Shetlands kann man wunderbar segeln! Davon abgesehen ist es, was den Beruf betrifft, immer gut, Erfahrungen auf anderen Gebieten zu sammeln.» Sie fragte sich, warum sie der jungen Kommissarin das alles erzählte. Es stimmte, doch sie sprach selten über die Gründe, weshalb sie auf die Shetlands gezogen war. Diese Frau, dachte sie, kann einen einfach zum Reden bringen, genau wie Jimmy Perez.
Der Drucker tuckerte los und spuckte die Liste mit den Kontaktdaten der Rudermannschaft aus. «Es wird Ihnen nicht entgehen, dass mehr als die sechs Frauen, die man für ein Rennen braucht, in der Mannschaft sind», sagte Rhona. «Wir haben alle viel zu tun und können nicht zu jeder Regatta vollzählig erscheinen.»
Willow Reeves nahm das Blatt, warf einen kurzen Blick darauf und steckte es dann in ihre Jackentasche.
«Wann ist das Boot zuletzt auf dem Wasser gewesen?»
«Das erste Mal in dieser Saison haben wir uns letzte Woche getroffen. Den Winter über lag es in einem Bootshaus an der Küste. Dort haben wir es sauber gemacht und den Schutzanstrich erneuert, und letzte Woche war schönes Wetter, deshalb haben wir es dann herausgeholt. Etwas leichtes Training für den Anfang.» Rhona erinnerte sich, wie sehr sie den Abend genossen hatte. Die Uhren waren gerade vorgestellt worden, und es war hell bis acht Uhr. Ihr war klargeworden, wie sehr sie die Gesellschaft der anderen Frauen an den dunklen Wintertagen vermisst hatte.
«Aber Sie haben es nicht wieder ins Bootshaus zurückgebracht?», unterbrach Willow ihre Gedanken.
«Nein. Viel zu viel Aufwand, es jedes Mal, wenn wir trainieren, wieder rauszuholen. Es liegt immer da drüben auf dem Grashang gleich beim Wasser. Wir decken es mit einer Persenning ab. Da passiert ihm nichts.»
«Und jeder in Aith weiß davon.» Willow sprach fast mehr zu sich selbst.
«Beinahe jeder auf den Shetlands weiß davon», sagte Rhona. «Alle, die zum Segeln nach Aith kommen oder an einem schönen Sommerabend hier entlangfahren oder mal einer Regatta zugesehen haben.»
«Ja, natürlich.» Willow löste sich vom Türrahmen, um die Staatsanwältin vorbeizulassen. «Es verwirrt mich nur, dass die Leiche in die Jolle gelegt wurde. Warum sollte sich der Mörder eine solche Mühe geben? Warum sollte er riskieren, gesehen zu werden? Sie muss tagsüber ins Boot gelegt worden sein. Aber Sandys Team hat alle gefragt, die hier wohnen, und keiner hat etwas gesehen. Zumindest behaupten das alle. Kein fremdes Auto. Keinen, der sich in der Nähe des Boots herumtrieb. Als wäre Jerry Markham wie durch ein Wunder da hingekommen, wie durch einen Zauberspruch.»
Rhona wusste nicht recht, was sie darauf sagen sollte, spürte aber, dass eine Antwort angebracht war. «Gestern Nachmittag war es sehr neblig», sagte sie. «Da
konnte
niemand etwas sehen.» Sie ging voran, die Treppe hinunter.
«Ihnen ist auch nichts Merkwürdiges aufgefallen, als Sie von der Arbeit gekommen sind?»
Wieder dachte Rhona, wie zäh diese Frau doch war. Langsam fand sie Willows Gegenwart hier in ihrem Haus unerträglich. Sie ballte die Fäuste, fühlte, wie sich die Nägel in die Haut ihrer Handflächen bohrten.
«Ich denke doch, dass ich das erwähnt hätte», sagte sie. «Einen Mörder, der eine Leiche in unsere Jolle hievt – ja, ich glaube wirklich, dass ich Ihnen das mitgeteilt hätte, auch ohne dass Sie mich hätten fragen müssen.»
«Tut mir leid.» Doch Inspector Reeves schien es nicht im Mindesten leid zu tun. Es war die heruntergeleierte Abbitte einer Sünderin, die vorhatte, auch weiterhin zu sündigen. Wieder lächelte sie. «Aber das nervt mich nun mal. Nicht zu verstehen, wie es abgelaufen sein könnte.»
«Ich bin sicher, dass es eine vollkommen logische Erklärung für alles gibt.» Am unteren Ende der Treppe blieb Rhona stehen. Sie wollte ein für alle Mal klarstellen, dass der Besuch der Kommissarin hiermit zu Ende war.
Und endlich schien die Botschaft bei der jungen Frau anzukommen. Sie rief Sandy zu, dass sie nun gehen könnten. Er erhob sich und kam zu ihnen in die Eingangshalle, und einen Augenblick lang standen die drei in unbehaglichem Schweigen beisammen. Dann streckte Willow die Hand aus. «Vielen Dank», sagte sie. «Sie haben uns enorm weitergeholfen. Wirklich.» Sie machte die Tür auf und ging mit Sandy nach draußen.
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