Tote Wasser (German Edition)
Willow sah ihn an. Ihr Haar war vorne zu lang und fiel ihr in die Augen. «Steht das außer Frage?»
«Großer Gott, natürlich!» Allein dass sie so etwas denken konnte, versetzte ihm einen Schock. «Sie ist nicht nur ehrlich, sondern auch gründlich. Sie wissen doch, manchmal geht was schief, ein Fall wird vermasselt – nicht absichtlich, nicht weil jemand sich hat bestechen lassen, sondern einfach weil irgendwer geschludert hat. Nicht sorgfältig genug gearbeitet hat. Bei der Eisernen Jungfrau ist so was absolut ausgeschlossen.»
«So nennen Sie sie also?» Willow grinste. «Die Eiserne Jungfrau?»
«So nennt Jimmy sie normalerweise. Manchmal.»
«Aber sie schien sich ziemlich unwohl gefühlt zu haben», sagte Willow. «Wenn sie bloß eine Zeugin wäre, eine stinknormale Zeugin, würde ich zehn Pfund darauf wetten, dass sie irgendwas verheimlicht.»
«Sie ist eine Einzelgängerin.» Wieder fühlte es sich seltsam an, die Staatsanwältin zu verteidigen. «Hat keine Freunde. Jedenfalls nicht hier. Bei der Arbeit wirkt sie sehr selbstbewusst. Und auch wenn sie Smalltalk mit Stadträten und Politikern betreibt. Aber vielleicht fällt es ihr schwer, fremde Menschen zu sich nach Hause zu lassen.»
«Aye», sagte Willow. «Vielleicht steckt ja nicht mehr dahinter.» Aber sie klang noch nicht überzeugt, und Sandy fragte sich, was sie wohl gerade denken mochte.
In Voe hatten sie keinen Handyempfang, doch als sie auf die Hauptstraße bogen, die von Lerwick gen Norden führte, fand er eine Menge Nachrichten auf seinem Telefon, die ihm entgangene Anrufe anzeigten. Weil er am Steuer saß, hielt er auf einem kleinen Feldweg, um sie abzuhören. Dort, wo der Weg in die Straße mündete, standen zwei Figuren, die jemand aus mit Stroh gefüllten Kissen und mit Lumpen ausgestopften Kleidungsstücken gebastelt hatte. Als Gesicht hatte man ihnen lebensgroße Porträts eines zukünftigen Brautpaars angeheftet. Sandy glaubte, den Mann schon einmal gesehen zu haben, die junge Frau allerdings erkannte er nicht. Vor einer Hochzeit war das Tradition, dennoch sahen die Puppen irgendwie gruselig aus. Sollte er jemals heiraten, würde er nicht wollen, dass am Gatter des Hofs seiner Eltern auf Whalsay so eine Vogelscheuche mit seinem Gesicht stünde.
«Man hat Markhams Wagen gefunden», sagte er. «Davy Cooper hat mir auf die Mailbox gesprochen.»
«Wo?»
«In der Nähe des Heimatmuseums von Vatnagarth.» Er sah, dass ihr das überhaupt nichts sagte. «Das ist ein altes Gehöft», erklärte er. «Da hat sich seit Ewigkeiten nichts verändert. Die Touristen besuchen es, um zu erfahren, wie das Leben früher war. Freiwillige ziehen sich alte Kleider an und tun so, als würden sie dort leben.» Er schwieg kurz. Ihm selbst kam es ziemlich merkwürdig vor, so etwas zu tun. «Dort gibt es noch alte landwirtschaftliche Geräte. Torfspaten und Weidenkörbe zum Transport der Soden. Einmal sind wir mit der Schule dort gewesen und durften ausprobieren, wie es ist, den Boden von Hand zu bestellen.»
«Und wo genau ist dieses Museum?»
Er merkte sofort, dass Willow ungeduldig war und keine Geschichten aus seiner Schulzeit hören wollte. «Nicht weit von hier entfernt.»
Während der Fahrt sah Willow aus dem Fenster und nahm die Eigenheiten der Gegend in sich auf. Er bog von der Hauptstraße ab und fuhr in ein geschütztes kleines Tal, durch ein Wäldchen aus Bergahorn, das in offenes Land mündete und den Blick westwärts aufs Meer freigab. In der Nähe der Küste erhoben sich Felsen zu riesigen Skulpturen, die Willows Aufmerksamkeit fesselten, sodass sie das niedrige Gehöft mit dem Dach aus Stroh und Torf zunächst gar nicht bemerkte. Wie auch die Scheune, der Kuhstall und die Darre, in der früher das Getreide getrocknet wurde, war es aus grobgehauenem grauem Stein gebaut. Bei Sandys letztem Besuch hier war es Sommer gewesen, ein herrlicher Tag, und er war elf Jahre alt gewesen. Die meisten Jahre seither hatte er auf den Shetlands verbracht, doch in dem Museum hatte er immer nur eine Touristenattraktion gesehen, die für ihn nicht von Interesse war. Er drosselte die Geschwindigkeit, als er auf das Gehöft zufuhr, und bog auf den Parkplatz hinter den Gebäuden.
Davy Cooper war schon da. Am Morgen sei in den Nachrichten auf Radio Shetland ein kleiner Beitrag gesendet worden, in dem die Polizei um Hinweise über den Alfa Romeo gebeten habe, berichtete er, und eine Briefträgerin, die dem Museum die Post brachte, habe angerufen und gemeldet,
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