Totem des Boesen
Adler blutleer und bestialisch verstümmelt aufgefunden worden waren - und wieder war niemand auf die Tat aufmerksam geworden, ehe sie geschehen war.
Wyando zeigte seine Erschütterung nicht. Und auf die Frage, wo er gewesen sei, antwortete er wahrheitsgetreu, daß er sich Makoo-temane angeschlossen und versucht hatte, mit ihm gemeinsam gegen die Bedrohung anzugehen.
»Viel Erfolg hattet ihr nicht«, urteilte Lololma mit einer Stimme, in der die Hysterie unverhohlen wilderte.
»Nein«, gestand Wyando freimütig ein. Sein Blick fand die verkohlten Kadaver inmitten der Flammen. Sie sahen aus wie kleine Menschen, die ihre verbrannten Flügel wie Skelettarme zum Himmel erhoben hatten. Zu einem Ort, den sie nie mehr erreichen würden.
Wyando gab sich einen Ruck. Dieser Moment war so gut oder schlecht wie jeder andere in absehbarer Zukunft.
Kurzentschlossen berichtete er seinen Brüdern und Schwestern, was sich in der Höhle zugetragen - und mit welchem Auftrag ihn Makootemane fortgeschickt hatte.
»Eine fremde Frau?« rief jemand, als er auf Lilith zu sprechen kam. »Ein Bastard, der Vampire tötet, soll uns helfen?«
»Sind wir nicht auch anders?« entgegnete Wyando. »Unterscheidet uns nicht ebenso viel von der Alten Rasse?«
»Und wie willst du sie finden?« klang die nächste Frage auf.
»Makootemane hatte eine Vision. Er wies mir den Weg zu ihr .«
»Reicht ein Monster, das uns vernichten will, nicht aus?«
»Sie ist kein Monster!« Noch während er es sagte, fröstelte Wyan-do. Die Möglichkeit, daß er sich irrte, wurde ihm wie ein Schlag in den Magen bewußt.
»Versprecht mir etwas«, sagte er, und sein Blick schweifte von den Kadavern, die das Feuer nicht länger nährten, hinauf zu dem purpurnen Schreckgespenst, das dort oben hing, als würde es jedem seiner Worte lauschen - und sie verspotten.
»Etwas versprechen? Was?«
»Bleibt«, sagte Wyando eindringlich. »Bleibt wenigstens, bis ich in ein paar Tagen zurück bin! Falls ich Erfolg habe, wird Lilith Eden mich begleiten - und ihr könnt euch selbst ein Urteil über sie bilden.«
»In ein paar Tagen«, sagte wiederum Lololma, »wird keiner unse-rer Adler mehr am Leben sein. Verlangst du nicht zuviel ...?«
Wyando schüttelte den Kopf.
Er suchte und fand die Blicke derer, die mit ihm die Zeit durchwandert hatten. Bis heute.
Und vielleicht war es das, woran auch sie in diesem Moment dachten .
*
New Orleans, nach Mitternacht
Der Schatten über den Dächern der Stadt am Mississippi war kaum mehr als eine fast unsichtbar kreisende Bewegung im Ozean der Nacht. Sinnverwirrend waren die Echos des pulsierenden Lebens, von dem die Straßen und Gassen tief unter dem dahinziehenden Schatten noch zu dieser späten Stunde schier überquollen. Der Versuch, das eine Echo, das eine Muster herauszufiltern aus dem Konglomerat, das einer gewaltigen Wolke gleich in die Nacht emporbrodelte, bedurfte aller Konzentration, derer Wyando fähig war.
Jenes Muster, das sich ihm unauslöschlich eingeprägt hatte, obwohl ihre Begegnung - setzte man sie in Relation zu seinem ganzen Leben - nicht länger gewährt hatte als ein träger Schlag seines Herzens.
Seines Herzens ...
Es schien sich verändert zu haben seit jenem ersten Zusammentreffen. Und der müde Rhythmus selbst schien sich jedesmal dann zu verändern, wenn er an sie dachte - schien ein klein wenig schneller zu werden und ein bißchen schmerzhafter .
Der Schrei eines Adlers wehte durch die Nacht über New Orleans Und dann war es doch ganz leicht, sie zu finden.
Denn der Widerhall ihres Seins, das er nie vergessen hatte, stieg auf von einem Ort, der bar all dessen war, was den Rest der Stadt durchströmte und die Straßen und Gassen flutete. Von einem Ort, an dem der Tod auf ewig zu Hause war.
Das Muster kam aus einer Stadt der Toten ...
Doch es erreichte den Schatten über New Orleans nicht allein. Es war eines von unzähligen anderen, die ihm fremd waren und deren Gemeinsamkeit er doch erkannte: Angst; mehr noch - Todesangst.
Doch der Widerhall ihres Wesens drohte nicht nur in jenen anderen Echos unterzugehen; er wurde schwächer mit jedem Gedanken, den er ihr widmete. Als würde er von etwas Gefräßigem und so unvorstellbar Fremdartigem verschlungen, daß er es nicht einmal ansatzweise zu erfassen vermochte.
Nur eines erkannte Wyando in der Panik der anderen, die förmlich in die Nacht emporgischtete: Das Unfaßbare war fleisch- oder geistgewordener Schrecken, der nichts anderes kannte als Tod -
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