Toten-Welt (German Edition)
Rathaus!
Der verordnete Bürgermeister hatte sich in einem Nebenraum des Ratssaales verbarrikadiert mit Blick über den Markt aufs Untere Tor. Von dort musste die Rettung kommen, aber wenn sie nicht bald einträfe, wäre es vorbei mit seiner Stadt, mit seinen Truppen und wohl zuallererst auch mit ihm. Dieses gierige Stöhnen war ihm nur allzu bekannt.
Sie hatten seine Tore regelrecht überrannt. Wer oder was immer sie waren, sie hatten die Hinrichtung zersprengt und zunächst einfach nur für Unordnung gesorgt. Da Bernkaller, der zuerst einen Stadtmenschen gebissen hatte, von der Burg stammte, und die Hexe Berkel dort emsig verkehrte und ihre Flucht dorthin führen ließ, hatte er stracks seine Männer hinterher gesandt.
Ein gefährlicher Fehler. Denn nun war die Stadt praktisch ungeschützt. Er hatte zu hoffnungsfroh mit dem sehr baldigen Eintreffen der kaiserlichen Truppen gerechnet. Immerhin hatte er ihnen seinen schnellsten Boten gesandt, aber nun kamen sie nicht.
Die Stadtwachen, die an den Toren verblieben waren, wären gegen normale Eindringlinge genug gewesen. Selbst ganze Räuberbanden hätten sich die Köpfe blutig gestoßen, aber diese Biester wurden auf geheimnisvolle Weise immer mehr, und sie waren mit Waffen, wie er sie kannte, einfach nicht zu besiegen.
Die Herde war zwar weitergezogen, aber reichlich genug Versprengte waren zurückgeblieben, um den ganzen Marktplatz so zu bevölkern wie er es einst mit Lebenden gewesen war. Sie staksten da durcheinander mit ihren glotzenden blöden Augen und gierten nach Blut.
Das Stöhnen war nun im Ratssaal – direkt neben ihm. Und es war nicht nur einer, der sich da herumtrieb. Der Bürgermeister hatte eine schwere Truhe vor die versperrte Tür gezerrt, die sie halb verdeckte, und hoffte nun, davon geschützt zu sein.
Aber schon der erste Schlag von draußen ließ das Holz derart krachen und erzittern und in den Angeln erbeben, dass ihm todesmulmig wurde. Sie wussten, dass er hier war. Aber er würde sich nicht von ihnen fressen lassen, nicht bei lebendigem Leibe!
Da die Gefahr nun so nah war, entrollte der Bürgermeister den Strick den er sich aus den Kellern des Rathauses beschafft hatte, stieg auf den Tisch und knüpfte ihn an einen Deckenbalken. Eine Schlinge für seinen Hals hatte er schon geknotet.
Wahrlich kein schöner Tod, und schon gar nicht würdig für einen Ratsherrn wie ihn, der er bald Reichsstadtregent hätte werden können. Er wusste, wie lange es dauern konnte, bis der Strick einen Mann zu Tode gewürgt hatte, und daher galt es zeitig anzufangen.
Als die Tür in Kopfhöhe unter einem gewaltigen Stoß splitterte, ein Loch so groß wie ein Eimer klaffte und eine blutverschmierte Hand hereinstieß, sah er die Stunde seines Todes gekommen. Er stieg auf einen Stuhl, da ja niemand da war, der ihn am Strick hätte hochziehen können, und ließ sich langsam in die Schlinge sinken.
Bewusst stieß er den Stuhl um, damit er nicht an seinem Entschluss schwach werden und entweichen konnte, und spürte nun die Wirkung an seiner Kehle. Sofort hätte er am liebsten alles rückgängig gemacht. Aber jetzt riss ein weiterer Hieb ein zweites Loch in die Tür, das sich nun mit dem ersten rasch zur klaffenden Einstiegsluke erweitern ließ. Die wahnwitzige Fratze eines Wiedergängers erschien und stöhnte ihn an. Er konnte nur hoffen, dass ihm das Bewusstsein schnell genug schwand.
Aber da ertönte die erste Fanfare, und der Bürgermeister hörte Schreie vom Marktplatz herauf dringen. Menschliche Schreie. Die schwer bewaffneten und kampferprobten kaiserlichen Truppen mochten wohl aufräumen unter diesen Monstren. Für ihn selbst kamen sie einen einzigen Moment zu spät.
Ein unerhörter Donnerschlag zerriss die Stille, die Kunigundes Behauptung, das Kind des Fürstbischofs zu sein, gefolgt war. Tageslicht fiel in den Raum, Steinsplitter spritzten wie Geschosse gegen die Wände und rissen schmerzhafte Wunden.
Hermann packte Maria und das Kind und rannte mit ihnen aus dem Schlafgemach zum Treppenturm.
„Runter, runter!“, rief Maria, als Hermann sie nach oben ziehen wollte.
„Nein, wir müssen auf den Bergfried und schauen, was da los ist.“
„Die schießen auf uns, das ist los. Wir müssen hier raus!“
Sie zerrte nach unten, unterstützt von Kunigunde.
„Aber warum schießen die auf die Burg, nicht auf die Mauern?“
Maria hatte ihm gar nicht zugehört. Sie wollte ihn mit sich ziehen. Hermann ließ beide los, als ein weiterer Treffer den
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