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Toten-Welt (German Edition)

Toten-Welt (German Edition)

Titel: Toten-Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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Bewegung. Den Graben hoch zogen sie das Mädchen an den Händen und verharrten einen Meter unter dem Wall. Maria kroch an die Kante und lugte darüber.
    „Die sind am Fressen. Vielleicht kommen wir unbemerkt an ihnen vorbei.“
    Zu Kunigunde raunte sie: „Schau nicht hin.“
    Geduckt hasteten sie, das Kind in der Mitte, über den Wall und waren dem Wald schon nahe, als die Fresslaute mehr und mehr vom Stöhnen neu erwachter Gier übertönt wurden. Maria begriff, da sie ja mehr als genug hatten an den Landsknechten, sich die Bäuche zu füllen, dass es nicht so sehr ums Fressen ging, sondern ums Jagen und Töten. Es war, als hätten die Toten einen Hass auf die Lebenden und den Drang, sie zu den ihren zu machen. Auffressen bis zum letzten Fleischbrocken, das hatte sie nie bisher erlebt. Vielleicht war es sogar vorgesehen, dass sich die Opfer möglichst unzerstört wieder erhoben.
    Sie hatten es alle drei vermieden, hinzusehen. Jetzt taten sie es. Der Anblick war entsetzlich, das schlimmste Blutfest, das Maria je gesehen hatte. Viel schlimmer aber war, dass sie jetzt alle herglotzten, und es waren viele, viele Dutzend.
    „Rennen“, rief Maria und riss Kunigunde schon mit sich. „Sie sind langsam.“
    „Aber sie sind auch im Wald!“
    Erst auf Hermanns Warnung hin sah sie die Rotte toter Angreifer zwischen den Bäumen.
    „Zurück zum Graben.“
    Aber der Weg war ihnen bereits abgeschnitten. Erleichtert stellte Maria fest, dass Hermann nicht einen Moment daran dachte, das Kind zu opfern, denn nur um das Kind ging es diesen Bestien. Er übernahm nun die Führung und zog sie über das freie Stückchen Land zwischen Graben und Wald, das ihnen zur Flucht noch blieb. Freilich trieben sie sich damit den Kaiserlichen selbst in die Arme, deren Schlachtengebrüll immer lauter wurde.
    „Was ist, wenn die dich kriegen?“, fragte Hermann im Rennen und völlig außer Atem.
    „Nichts, wenn die Städter sie nicht gegen mich aufgehetzt haben. Aber das glaube ich nicht.“
    „Und wenn doch?“
    „Ich weiß es nicht.“
    „Wir hätten in der Burg ausharren sollen!“
    In dem Moment, in dem er schon stehen bleiben und sie aufhalten wollte, traf ein gewaltiger Blidenstein den Palas und fetzte das halbe Dach weg. Brandgeschosse regneten auf alle Gebäude und Mauern, den Burghof, und nun schlugen sie auch dahinter ein und entfachten Feuerherde selbst da, wo ohne das Pech am Geschoss nichts war, das brennen würde, im Graben und auf den Wällen.
    „Das ist die Apokalypse!“, rief Hermann, denn nun kamen, den Hagel an Eisen- und Steinkugeln und Pechfackeln ignorierend, geharnischte Reiter im und um den Graben angeprescht. Sie trafen auf die Masse an Wiedergängern, die sie vom Wald abgeschnitten hatten, begannen sofort damit, sie niederzumähen, und wie hineinversetzt befanden sich Maria, Hermann und das Kind mitten in einer Schlacht wie vor dem Jüngsten Gericht.
    Männer brüllten, Monster stöhnten und fauchten, Köpfe rollten. Sie hatten, um sich von den Toten zu unterscheiden, sich auf die Knie geworfen, das Kind zwischen sich zu Boden gepresst und die Hände erhoben. Das führte dazu, immerhin, dass sie geschont und nahezu ignoriert wurden.
    Als sie aber, da die Reihen der Wiedergänger sich gelichtet hatten, nun doch noch versuchten, zum Wald zu entkommen, wurden sie gestellt.
    „Wir gehören nicht zu denen!“, rief Hermann dem behelmten Reiter entgegen, der unter der Flagge des Kaisers ritt und sie mit seinem Schwert in Schach hielt. „Wir kamen zufällig des Wegs. Verschont uns! Lasst uns gehen!“
    Der Reiter sagte nichts, tat nichts, lüftete nicht sein Visier, aber drängte sie, unterstützt von einem zweiten und dritten nun, die ihr schauerliches Werk fertig getan hatten, durch den Druck ihrer anreitenden Pferde den Graben hoch und zum Hauptschauplatz des Kampfes.
    „Wir bleiben bei dieser Geschichte“, wies er Maria an. „Wir mögen hoffen, dass von Stadt und Burg niemand mehr lebt, der uns erkennt.“
     
    Ob dem so war, erfuhren sie nicht. Getrennt von einander wurden sie eingekerkert in den Lochgefängnissen der Stadt. Nicht ein Gesicht bekamen sie zu sehen, denn das Kriegsvolk verharrte unter seinen Helmen, die ungerüsteten Handlanger trugen Masken mit vogelartigen Schnäbeln. Ohne dass ein Wort mit ihnen gesprochen worden wäre, konnten sie sich zusammenreimen, was das bedeutete. Sie hielten, was passiert war, für eine Seuche. Vielleicht war es das auch.
    Maria hatte viel gesehen in ihrem kurzen Leben.

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