Toten-Welt (German Edition)
Und sie hatte viel gehört. Sie hatte so viel überstanden, dass sie von sich meinte, nichts könne sie mehr erschüttern. Als man sie, Stunden nach ihrer Gefangennahme schon, zum Peinlichen Verhör abholte, begriff sie sofort, wie dünn die Hornhaut aber doch war, von der sie sich an Körper und Seele rundum geschützt glaubte.
„Meister, bist du das?“, fragte sie, noch bevor sie angesprochen wurde. Der Peiniger unter der schwarzen Kapuze mit den runden Sehschlitzen hatte die Statur ihres väterlichen Freundes, aber nicht dessen Augen. Und er sprach kein Wort. Er tat, was die erste seiner Aufgabe hier unten war, er zeigte ihr die Instrumente.
„Sieh genau hin, Maria Berkel, dies ist Grad 1“, erklärte das verhutzelte Männchen, das am Tisch der Folterkammer hinter einer Kerze kauerte und sich mit einem Mundtuch und einem Schlapphut vor dem zu schützen meinte, von dem er zurecht glaubte, Maria habe es ausgelöst. Seine Stimme klang uralt. „Mit Daumen-, Arm- und Fesselschrauben werden deine Glieder gepresst werden, bis die Haut platzt und die Knochen zerbersten.“
Der Meister zerrte sie eine Ecke weiter und drehte sie zur Streckbank. Marias Hände waren brutal fest vorne zusammengebunden, ihre Haare bereits geschoren. Das hatten sie sofort getan, noch bevor sich die Zellentür nach ihrer Verhaftung zum ersten Mal geschlossen hatte. Sie trug das weiße Büßergewand, von dessen eigentlichem Zweck sie längst wusste. Es ging darum, Leib und Gliedmaßen für die Torturen leichter zugänglich zu machen.
„Auf der Streckbank wird dein Körper in die Länge gezogen werden, bis die Sehnen und Muskeln reißen und die Gelenke aus den Pfannen springen“, leierte der verknöcherte alte Protokollant am Tisch seine Unterweisungen herunter. Dass der Meister gar nicht sprach, machte ihn besonders angsteinflößend.
„Manch ein Unglücklicher wurde schon mitten hindurch gerissen. Ich selbst kenne Fälle...“
„Ich weiß das alles“, unterbrach ihn Maria und wunderte sich selbst, wie fest ihre Stimme trotz ihrer Angst klang. „Was wollt Ihr, dass ich gestehe?“
„Das wollen wir von dir hören.“
„Soll ich zugeben, eine Hexe zu sein? Meinetwegen. Ich bin eine schwarze Seele aus der Hölle, bin mein ganzes Leben schon mit dem Teufel im Bunde und fest mit ihm verheiratet. Ich fliege auf glühenden Besen durch die Nacht und jage kleine Kinder.“
Der Protokollant schüttelt den Kopf, schob den Tisch von sich, stand mühsam auf und kam zu ihr herüber.
„Den Unfug kannst du dir schenken. Ich bin ein Mann des Wissens. Mich musst du überzeugen, dass du deine echte und wahre Schuld eingestehst und nichts hinzuzufügen hast noch widerrufen wirst.“
Maria nickte. Ihr war klar, sie würde brennen. Sie wusste, das war nicht so schlimm, wie es klang, da die meisten auf dem Scheiterhaufen längst erstickt waren, bis die ersten Flammen in die Haut schnitten. Sie wollte es hinter sich bringen und keinesfalls zuvor gefoltert werden.
„Ich bin keine Hexe“, fing Maria neu an. „Und meine Geschichte ist nicht so lang, wie Ihr vielleicht meint. Ich habe Kräuter-Essenzen im Wald gebraut, wo ich lebe, in dem alten Dorf zwischen Burg und Kloster. Ich habe diese Essenzen den Menschen verabreicht, die zu mir kamen, um Heilung von ihren Leiden zu finden. Ich habe kein Geld genommen und in gutem Glauben gehandelt, zu helfen. Ich gestehe, dass es wohl mein Mittel war, das...“
Der Protokollant hatte, derweil sie redete, dem Meister ein Zeichen gegeben und befahl jetzt in ihre Worte hinein:
„Wir überspringen das Quetschen und Strecken. Beginne mit dem dritten Grad für die hartnäckigen Leugner.“
„Ihr könnt Erkundigungen einziehen“, rief Maria, und nun klang ihre Stimme nicht mehr ruhig und fest. „Ich sage die Wahrheit.“
„Bei wem sollen wir uns erkundigen, da alle von hier tot sind?“
„Es muss doch irgend jemand aus der Stadt noch am Leben sein! Was ist mit der Burgbesatzung?“
„Der Bürgermeister war es, der uns rief und dabei deinen Namen übermittelte. Er hat sich im Rathaus stranguliert. Sonst weiß niemand etwas. Wir haben alle gefragt, die von der Seuche verschont wurden. Viele sind das nicht.“
„Wie kann ich denn dann wissen, was Ihr hören wollt? Ich sage ja alles!“
„Deine Angst spricht für ein schnelles Ende dieses Verfahrens. Meister, wir müssen erst mal was vorlegen, bevor wir weiter fragen.“
Er humpelte zurück zu seinem Tisch. Maria wurde von hinten gepackt, auf einen
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