Toten-Welt (German Edition)
hölzernen Sessel gezwungen und dort angebunden. Reden hatte nun keinen Sinn mehr. Sie sollte erst Schmerzen erfahren, bevor es weiterging, und sie versuchte sich innerlich zu wappnen gegen das, was kommen mochte. Der Meister packte mit einer flachen Zange eine glühende Nadel und schickte sich an, sie unter ihren rechten Daumennagel zu treiben.
„Nein, nicht das!“, befahl der Protokollant. Maria, die sich vor Angst verkrampft und die Zähne fest zusammenbissen hatte, lockerte sich und atmete auf – bis sie den Befehl hörte, was nun kommen sollte: „Schäle ihr die Haut vom Körper. Fange mit dem rechten Bein an. Und vollziehe es ganz langsam Streifen für Streifen.“
Sie hatte Hermann nicht verraten, trotz stundenlanger Pein.
Aber was, wenn er sich selbst längst angezeigt hatte, um sie zu schonen, und die Folterer nun keine Ruhe gaben, bis sie seine Worte bestätigte?
Der Schmerz an ihren Beinen brüllte so laut, dass die Beine Schmerz waren und nichts sonst. Sie hätte sie am liebsten abgehackt und weit weggeworfen. Schlimmer konnte es nicht werden.
Sie hatten sich nicht damit begnügt, ihr die Haut abzuziehen. Sie hatten das bloße Fleisch mit kochendem Wasser übergossen, mit flüssigem Blei, hatten Streifen aus dem Muskelgewebe geschnitten und mit glühenden Zangen Löcher hinein gerissen. Alles unterhalb der Knie sah aus wie von Wölfen zerfressen.
Sie hätte so gern gestanden. Aber sie wusste nicht nur nicht, was, sie konnte vor brüllen und weinen auch gar nicht reden.
Und nun lag sie da, in schwarzschwarzer Finsternis, auf nacktem Steinboden im Dreck mit der offenen Riesenwunde, die sich von den Knien bis zu den Zehennägeln erstreckte. Da sie noch immer angebunden war und nichts machen konnte, absolut nichts, um ihre Qualen zu beenden oder auch nur zu lindern, tat sie die einzige Bewegung, die ihr noch möglich war: Sie hob den Kopf und schlug ihn fest auf den Steinboden, hob ihn wieder und schlug und wieder und schlug.
Der Schmerz da oben lenkte leidlich ab von dem weltausfüllenden Schmerz am anderen Ende. Sie steigerte sich in einen Rausch von Kopfschlagen und erlöste sich dann doch selbst, indem sie aus dem Bewusstsein austrat. Dass sie da drüben, auf der anderen Seite, von Folterkellern und Mordbrennern träumte und ganz und gar nicht erlöst war, hatte sie vergessen, als sie, wer weiß wann, von einem Tritt gegen ihren Bauch geweckt wurde.
Plötzlich fiel ihr wieder ein, was ihre größte Angst war: was sie ihren Kindern antaten außer ihr selbst, diesem in ihrem Bauche und dem Mädchen Kunigunde, für das sie fühlte wie eine Mutter, obgleich sie nur Stunden ihre Beschützerin hatte sein dürfen.
„Hoch, Weib!“
Es war ein anderer. Sie hörte es nicht nur an der Stimme, sondern daran, dass er überhaupt sprach. Der am Tag zuvor hatte nur angelegentlich leise gestöhnt, wenn er an ihr zur Sache ging, und dann klang es nicht nach Missfallen und Anstrengung. Es graute sie davor, diesem Lustschänder erneut zu begegnen.
„Wen bringst du da?!“
Diese Stimme kannte sie. Es war der verbuckelte, verschrumpelte Protokollant, der sich die Art der Qualen für sie erdachte und etwas von ihr hören wollte, das sie wohl nie erraten würde.
„Die Hexe Maria Berkel wie befohlen.“
„Das ist nicht...“
Er beugte sich, an seinem Tisch sitzend, in ihre Richtung, zuckte sofort wieder zurück und bekreuzigte sich. Laut schnaufend verharrte er, gab sich schließlich einen Ruck, griff zur Kerze, stand auf und hinkte ganz nah zu ihr heran. Er leuchtete ihr ins Gesicht und um ihren Kopf herum, beugte sich zu ihren Beinen hinab, ächzte laut und schrie:
„Schaff sie weg, los!“
„Weg? Aber wohin denn?“
„Zurück in ihre Zelle. Aber hüte dich vor ihr.“
„Wieso? Wie denn?“
„Raus hier, los!“
Maria begriff ganz langsam, dass etwas passiert sein musste. Sie war so aus sich herausgetreten in Gedanken und Empfindungen, um möglichst wenig dabei zu sein, wenn es wieder weh tun würde, dass sie erst mal zurückkehren und um sich fühlen musste.
Es tat ihr nichts mehr weh!
Sie war auf ihren zwei Beinen vom Kerker in die Folterkammer gelaufen, ohne dass der Knecht sie hatte hochzerren und schleifen müssen, und auch jetzt lief sie – auf unversehrten Beinen!
Hatte sie denn was anderes erwartet? Ein gebrochener Arm war eine Sache, und wer konnte sagen, ob er wirklich gebrochen gewesen war. Aber ihre Beine, die waren blutig zerfressene Stümpfe gewesen, gestern
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