Toten-Welt (German Edition)
danach war, und niemand würde ihn hindern, mit diesen Panzern alles zusammenzuschießen.
Freudig erregt hatte er sich auf den Weg gemacht. Er kannte die Heereskaserne auf dem Gelände des einstigen mittelalterlichen Klosters jenseits der Hügelkuppe gegenüber von Burg und Stadt. Da es keine Polizei mehr gab, würde es ja wohl auch keine Bundeswehr mehr geben.
Und nun das!
Was trieben die da nur? Er müsste näher ran. Aber was, wenn sie ihn als nichtmenschlich erkannten und umpusteten?
Instinktiv zog er sich zurück. Das war ein guter Grund, die Burg aufzusuchen. Sicher würde er Wicca mit dieser Nachricht einen Dienst erweisen, was sie milde stimmen und veranlassen würde, ihn mit dem Mittel auszustatten für Tage und vielleicht Wochen.
Freilich konnte es sein, dass sie ihm dann gleich auch neue Aufträge aufs Auge drücken würde. Schon mit seinem Bruder zusammen hatte es ihm nicht geschmeckt, wie ein Botenjunge unterwegs zu sein. Allein wollte er das erst recht nicht.
Aber was konnte die ihm eigentlich? Sie hatte mit Erstarrung gedroht. Wenn das alles war. Er konnte auf die Burg einbrechen, sich Mittel über Mittel holen und wäre für immer frei. Und wenn sie ihn erwischte, war er auch nicht schlechter dran als jetzt.
Leicht wankend machte er sich auf den Weg zur Burg. Sein sich verschlechternder Gleichgewichtssinn machte ihm etwas Sorgen. Selbst jetzt, aufgepumpt mit dem Mittel, war ihm ein bisschen schwindlig. Und denken fiel ihm schwerer denn je. Andererseits geriet er mehr und mehr in eine Art Rausch, der ihm das alles egal sein ließ.
Amelie sah den Hasen schon, bevor er sich entschloss, zur Burg zu kommen. Sie stand auf einem Erker der Kemenate im pfeifenden Wind und schaute übers Land nach Spuren menschlichen Lebens. Mangels eines Fernglases zoomte sie mit ihrer kleinen Digitalkamera auf Schauplätze, die nach Bewegung aussahen, aber meist handelte es sich um Horden von Untoten, die kreuz und quer herumzogen auf der Suche nach Nahrung.
Die Kaserne war von ihrem Standort aus nicht einzusehen, der Wald versperrte ihr die Sicht. Sie wusste nicht mal von diesem militärischen Stützpunkt, wohl aber von dem Ort an sich, denn dort musste nach Wiccas Schilderungen das Kloster gewesen sein.
Freien Blick hatte sie allerdings auf den Bereich, in dem Wiccas Dorf gelegen haben musste. Heute hatte sich die Stadt bis dorthin ausgedehnt, der Stadtteil hieß „Alte Wüstung“. Soweit sie das erkennen konnte, war der einstige Dorfplatz nicht überbaut, sondern dort zu finden, wo jetzt ein kleiner Park angelegt war und zum Horizont hin in den Wald überging.
Der Hauptort des Rätsels aber lag schräg unter ihr, im Kerker des Bergfrieds, in dem Wicca angeblich 500 Jahre lang geschmachtet hatte. So recht glauben mochte Amelie diese Geschichte noch immer nicht. Warum hatte sie an der entscheidenden Stelle abgebrochen und nicht herausgerückt damit, ob es wirklich Hermann der Mönch gewesen war, der sie eingemauert hatte? Was war mit ihrer Schwangerschaft geworden? Und was mit dem Fürstbischof und der monströsen Leiche aus Byzanz?
Ein weiteres Rätsel für Amelie war sie selbst. Was nur hatte sie hier noch verloren? Was ging sie das alles an? Warum war sie nicht längst auf und davon?
Sie wusste nicht, wohin. Die Welt da draußen war nicht mehr so wie vor ein paar Tagen noch, davon hatte sich Amelie per Radio, Fernsehen, Internet und jetzt einem Blick übers Land von hier oben aus überzeugt. Die Stadt war bis auf verstreute Fleischfresser-Horden tot. Gelegentlich sah sie ein Auto fahren, aber wenn es zum Stillstand kam, stieg niemand aus oder ein. Busse, Straßenbahnen, Züge, nichts ging mehr. Kein Flugzeug am Himmel.
Und niemand, der ans Telefon ging. Bei ihren wenigen Bekannten hatte Amelie es wieder und wieder versucht. Dann hatte sie wahllos Nummern gewählt, irgendwelche, um irgendjemand zu sprechen und irgendwas zu erfahren. Bis der Akku leer war. Sie konnte nicht glauben, wie schnell das gegangen war. Und sie glaubte einfach nicht, dass wirklich alle tot waren.
Der Hase hatte sich nun in Bewegung gesetzt und schlappte in Richtung Burg. Von seiner Biegung aus war für ihn noch nicht zu erkennen, dass er sich den Weg vergebens machte. Wicca hatte die Zugbrücke einholen lassen und die Tore und Türme mit wahllos ausgesuchten Vertretern ihrer Opfer besetzt, irgendwelchen Leuten, die zuletzt noch vorstellig geworden waren wegen des Mittels – Süchtigen.
Sie hatte ihnen reichlich gegeben und
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