Toten-Welt (German Edition)
Das Wort Widerhaken hatte der Hase auch noch nie gehört, aber er verstand das Prinzip. Die Wunde, die er sich selbst gerissen hatte, so entsetzlich sie war, würde hoffentlich rasch verheilen, aber warum mussten diese Schmerzen sein? Hätte Wicca nicht auch dagegen was erfinden können?
Es tat so verteufelt weh, dass er wie betäubt voran taumelte, den Weg nach unten zurück Richtung Hauptkreuzung, nicht an andere Gefahren dachte noch daran, was er jetzt tun sollte.
Das Monster ohne Gesicht, das ihm auf halbem Weg entgegenstampfte, konnte ihn die Schmerzen nicht ganz vergessen lassen, aber er war doch abgelenkt genug, um sich nicht mehr selber leid zu tun. Er besah sich das Ding genauer. Es sah aus, als hätte es sich eine blutige Badekappe über den Kopf und das ganze Gesicht bis zum Kinn gezogen, eine Badekappe, unter der Haare hervorstanden und wirkten wie ein fusseliger Bart.
Wo die Augen waren, hatte man – oder es selbst – Sehschlitze in das schleimige Überzugsding gerissen, aber wirklich sehen konnte das Wesen dadurch nicht, denn auch darunter waren Haare, die ihm von innen her die Sicht verdeckten.
Hätte der Hase je einen Gerichtsmediziner-Krimi gesehen, wäre der Groschen längst gefallen. So aber war ihm noch immer nicht klar, was genau da los war, als er ein wenig um den Fettmops herumlief und sich dessen Kopf von hinten-seitlich betrachtete. Wie ein blankes Hirn aussah, das hatte er schon mal gesehen: in einem Biologie-Lehrbuch. Aber wo war hier der Schädelknochen geblieben? Der Kopf sah aus wie sauber aufgesägt.
Neugierig geworden, machte er einen Schritt auf das scheinbar träge-harmlose Wesen zu. Als er in Tastweite war, griff es an. Die feisten Finger packten ihn am Sweatshirt und rissen ihn herum. Er wehrte sich, zerrte zur Seite, brachte die Fettkugel auf Beinen aus dem Gleichgewicht, fiel damit um und begrub sich selbst darunter.
Seine letzten vier Ampullen waren zum Glück aus Plastik, aber mindestens eine davon wurde zerdrückt und lief in seiner Tasche aus. Schade um den Stoff, aber er hatte ein weitaus schlimmeres Problem. Denn sofort begann der verdeckte Mund des Monsters nach ihm zu schnappen, und plötzlich begriff der Hase, was da das Gesicht überzog: der umgestülpte eigene Skalp.
Denn in seiner Gier begann der Fettklops nun, da er nicht auf die Idee kam, sich das Hindernis mit den Händen vom Gesicht zu streifen, es von ihnen her zu fressen, so den eigenen Mund freizulegen und sich damit an sein Opfer heranzuarbeiten.
Wehren konnte sich dieses Opfer nicht, es lag eingeklemmt unter 200 Kilo breit über ihm auseinander geflossener Masse, zappelte und schlug um sich, alles vergeblich. Schon hatte der Skalpierte seine Kopfhaut so weit gefressen, dass die untere Zahnreihe sichtbar wurde – und ein Ziegenbärtchen.
Wenigstens weiß ich jetzt, dass es ein Mann ist, der mir den Rest gibt, dachte der Hase, hörte auf zu zappeln, fügte sich zwar nicht in sein Schicksal, aber bewahrte Kraft für eine rettende Idee, die ihm hoffentlich noch kommen würde, bevor das Raubtier auf ihm in der Lage wäre, sich in ihm zu verbeißen.
Kapitel 9: Die Toten, die ich rief...
Während es den Hasen graute, seiner neuen Existenz als Untoter entgegenzusehen und den Schmerzen, die er vor der Verwandlung erleiden würde, beglückte es seinen Bruder inzwischen, so zu sein. Er hatte Beute gemacht auf dem Weg zum Rathaus. Ein Motorradfahrer war gegen einen Laternenpfahl gekracht, als er einem quer stehenden Auto ausweichen wollte. Er hatte nach längerer Ohnmacht feststellen müssen, dass er sich bei dem Unfall beide Beine gebrochen hatte, und war nun dabei gewesen, sich auf den Armen vorwärts robbend in Sicherheit zu bringen.
Auf der Treppe vor einer offen stehenden Haustür, kurz vor der möglichen Rettung, kam der Gnom angetaumelt. Noch bevor er die potentielle Beute gesehen hatte, waren seine neuen Sinne auf ihre Schmerzens- und Angstlaute ausgerichtet gewesen. Am Gesichtsausdruck des Motorradfahrers konnte er ablesen und zugleich seinen entsetzten Gedanken entnehmen, wie schauderhaft seine eigene Fassade inzwischen aussehen musste.
Egal. Das nun folgende Festmahl war alles wert. Er ließ genug dran an dem, was bald sein würde wie er selbst, um keine zusätzlichen Einschränkungen zu verursachen, und hätte zu gern abgewartet, ob sein Opfer es als Nichtmehrmensch und daher ohne Schmerzen schaffen würde, sich auf den gebrochenen Beinen fortzubewegen.
Aber nun, da seine Gier gestillt
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