Toten-Welt (German Edition)
Dorfbühne. „Aber welche Alternative gibt es denn für uns wie auch für den Rest von echtem menschlichem Leben da draußen? Wenn wir nicht kämpfen, dann haben wir ganz sicher verloren. Wir werden gefressen werden. Ich sage nicht getötet, sondern gefressen bei lebendigem Leib, weil es genau das ist, was diese Wiedergänger machen.“
„Verzeihung, Wiedergänger?“, fragte einer der Unteroffiziere. „Sagt man so in Berlin?“
Den Appell wegen einer beiläufigen Frage zu unterbrechen, war ein Affront, aber die Frage hatte es in sich. Nicht nur Niedermüller – niemand schien dieses Wort je gehört zu haben.
„Ja, das ist... wie sagen denn Sie hier?“
„Überträger. Wir unterscheiden drei Kategorien, und zwar...“
„Schon gut, lassen wir das. Ich denke, jeder hier kann einen Menschen von einem Menschenfresser unterscheiden. Alles, was nicht menschlich ist, muss sofort bei Begegnung getötet werden, und zwar durch Dekapitation.“
„Wir hatten bisher mit Kopfschüssen sehr gute Erfolge“, übernahm schon wieder der Zwischenfrager unter den Unteroffizieren das Wort: Uffz Leistner. Niedermüller verabscheute diesen Typen.
„Haben Sie die Leichen danach verbrannt?“, fragte der Oberst.
„Nein, die haben wir eigentlich ... liegen lassen.
„Dann sind sie längst wieder unterwegs.“
„Wie bitte? Aber...“
„Der Kopf muss vom Rumpf getrennt werden, das ist der einzige Weg. Verbrennen auf einem Holzfeuer können Sie ebenfalls vergessen. Das Einzige, was hilft, ist kremieren. Wenn mehr als ein Häufchen Asche übrig bleibt, steht das Ding wieder auf.“
„Das ist doch...“, wollte sich Uffz Leistner empören, aber er wurde abgewürgt von seinem direkten Vorgesetzten, Stabsfeldwebel Wachsenberg: „Mit welcher Waffe bitteschön sollen wir die Überträger denn enthaupten?“
Niedermüller stellte mit einem unterdrückten Grinsen fest, dass nun auch die angetretenen Soldaten unruhig wurden. Nun ging vielleicht das letzte Regiment vor die Hunde. Besser auf diese Weise als im Kampf. Er würde hier raus spazieren und...
„Mit Schwertern, Hellebarden, Äxten...“
Unruhe und ungläubige Zwischenrufe ließen den Rest des Satzes untergehen.
„Oben auf der Burg gibt es alles, was wir brauchen“, brüllte der Oberst Spott, Entsetzen und Lacher nieder. Aber die Art, wie er sich Gehör verschaffte, war nicht militärisch, sondern einzig aufgrund der Autorität seiner Person, die er zweifellos besaß. Die Erwähnung der Burg freilich sorgte für erneutes ungläubiges Gelächter.
„Verzeihung, Herr Oberst, wir sind keine Landsknechte“, antwortete der Stabsfeldwebel, als die Männer sich beruhigt hatten. Bei ihm genügte ein spitzer, militärischer Brüller.
„Es gibt keinen anderen Weg. Die Männer werden eingeteilt in Scharfschützen und Dekapitierer. Ein Schuss in den Kopf sorgt für einen Moment der Gefahrlosigkeit. Am Boden liegend, bevor er sich wieder erhebt, kann der Wiedergänger leicht enthauptet werden.“
„Der? Einzahl? Da draußen gibt es Tausende. Millionen. Vielleicht überhaupt nur noch solche. Sie sind in Horden unterwegs.“
„Erstens, Herr Wachsenberg, ist die Menschheit noch bei weitem in der Überzahl. Es traut sich nur niemand mehr auf die Straße. Zweitens haben wir hier ungefähr... wie viel Mann sind genau hier stationiert?“
„Von den bisher hier Kasernierten sind vielleicht noch 200 übrig. Ein rundes Dutzend dürfte es gewesen sein, was heute früh über den hinteren Zaun desertiert ist.“
„Na bitte, das reicht doch. 100 Schusswaffen dürften wir noch haben. Mehr als hundert greifen nicht auf einmal an. In der Waffenkammer der Burg...“
„Sie denken doch nicht ernstlich, dass wir uns da oben in dem alten Gemäuer mit Relikten aus dem Mittelalter bewaffnen!?“
Der Ton des Stabsfeldwebels klang gefährlich nach Befehlsverweigerung.
Der Oberst schüttelte den Kopf.
„Meine Herrn“, sagte er und klang weder wütend noch allzu befehlend. „Wenn niemand die Aufgabe übernimmt, dann geht diese Welt unter. Noch lässt sie sich retten. Glauben Sie mir. Die Strukturen sind noch da. Die Getöteten lassen sich ersetzen. Die Straßen kann man räumen. Wenn die Kraftwerke wieder hochgefahren werden, funktioniert das Internet wie zuvor, und Radio und Fernsehen werden wieder senden. Aber die Situation wird kippen, bald schon. Die Menschen werden ihre Wohnungen verlassen müssen, wenn die Kühlschränke leer sind oder die Nahrungsmittel ohne Kühlung verdorben.
Weitere Kostenlose Bücher