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Toten-Welt (German Edition)

Toten-Welt (German Edition)

Titel: Toten-Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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war, sirente wieder das Rathaus nach ihm oder wohl eher das, was ihn von dort aus aufgespürt hatte und anlocken wollte. Auf dem Weg dorthin war nicht zu übersehen, dass die Straßen wieder belebter wurden. Freilich waren es keine Menschen, was da herum taumelte, sondern lebende Leichen der zweiten Kategorie.
    Da steckte einem ein Schraubenzieher bis zum Griff in der Augenhöhle, ein anderer trug einen gespaltenen Schädel zur Schau, dessen Riss so tief war, dass die Hälften jederzeit auseinanderfallen und unterhalb des Halses zusammenklappen konnten. Den meisten zum zweiten Mal Erwachten sah man die Hirnzerstörung nicht sofort an, nur der unförmige Hinterkopf oder blutverkleisterte Haare deuteten an, was passiert war.
    Der Gnom war zunehmend angewidert. Die waren nicht wie er. Und er wollte niemals werden wie sie. Noch hatte er einen Rest von Verstand und menschliche Würde. Die waren zwar wie er auf Menschenfleisch aus, aber torkelten nur noch ziellos herum. Eindeutig eine Kategorie unter ihm, auch wenn sie ihm eines voraus zu haben schienen: Die waren vermutlich durch überhaupt nichts mehr zu stoppen. Er selbst musste sich hüten, jemanden etwas auf seinen Kopf schlagen oder was rein rammen oder schießen zu lassen.
    Und derweil er das dachte, sah er sich genau dieser Gefahr gegenüber.
    „Verpiss dich, Zombie! Oder willst du eine Kerbe im Nischel?“
    Der Typ vor ihm fuchtelte mit einer erhobenen Axt und war eindeutig nicht der Hellste. Zu einem bunten Jogginganzug mit halb geöffneter Jacke, unter der ein weißes Feinripp-Unterhemd hervorschaute, trug er schwarze Bommel-Halbschuhe. Intensiv grün und blau leuchteten seine beiden Augen. Der Gnom witterte etwas an ihm. Die besondere Angst. Aber auch den besonderen Grund für diese Angst und seine besondere Aggression.
    Er wollte harmlos tun und etwas erwidern, aber sein Verstand war intakter als seine Körperfunktionen. Mehr als ein Stöhnen und Lallen kam nicht heraus. Die Laute klangen, obwohl er das nicht beabsichtigte, auch in seinen eigenen Ohren angriffslustig. Er verspürte diese Angriffslust, obwohl sein Verstand ihm sagte, er solle sich vor der Axt hüten. Die war Grund genug, das Mittel im Körper des anderen zu vergessen, das er nun freilich so sehr begehrte, dass er bereit war, sich in die Axt zu stürzen.
    Die Konkurrenz war schneller und rettete ihn damit. Der Jogginganzugträger hatte ausgeholt und hieb gerade zu und hätte dem Gnom den Schädel derart zerhackt, dass er wohl nie mehr erwacht wäre, aber von schräg hinten fiel ihn ein groß gewachsener, kräftiger Mann mit Hemd, Krawatte und hoch gekrempelten Ärmeln an, riss ihn zu Boden und verbiss sich augenblicklich in seinem Hals.
    Der Gnom erkannte den Oberbürgermeister, erinnerte sich an seinen Auftrag und dass der sich nun ja wohl erledigt hatte, fragte sich, ob es sein Bruder gewesen war, der ihn verwandelt hatte oder diese Bomhan, aber noch während er all das dachte, kniete er schon auf dem Gerissenen und bediente sich selbst an ihm. Er spürte die Wirkung des Mittels sofort ihn beleben und ein Stück unsterblicher werden. Und den Lockruf deutlicher vernehmen.
    Als sie beide satt waren und der Jogginganzug fast restlos von Blut durchtränkt war, sahen sich der Gnom und der Oberbürgermeister kurz in die Augen. Sie sahen sich an, dass sie gerne geredet hätten, aber wussten, dass sie das nicht mehr konnten, dass sie aber trotzdem wussten, was der andere wusste und dachte und wollte und daher in stillem Einverständnis los zogen. Beide hörten die lockende Stimme. Aber nur der Oberbürgermeister wusste, wie dahin zu gelangen war.
     
    Wicca hörte den Ruf schon lange. Sie hatte damals nie was gegen den Neuminingen gehabt und hätte gerade nach ihren 500 Jahren Gefangenschaft auf seiner Seite sein müssen. Sie hatte in ihrem Verlies wenigstens umher gehen können – er hatte mit dem Spieß an der Kehle bewegungslos im Stock dasitzen müssen, wie sie damals von einem ihrer eigenen Wärter aufgeschnappt hatte. Trotzdem. Wer weiß, was passierte, wenn der freikam.
    Wer weiß, was erst passierte, wenn sie Hermann fände!
    Sie setzte sich auf eine Bank im hinteren Rund des kleinen Parks gegenüber der Senioren-Residenz, die sie auf der Kuppe über der Stadt errichtet hatten, weil es hier so schön war. War es auch. Aber alte Leute gehörten unter Menschen und am besten mitten in eine Stadt, nicht an ihren Rand.
    Wicca lächelte über ihre eigenen milden und anteilnehmenden Gedanken,

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