Toten-Welt (German Edition)
jüngsten und letzten Opfer Mia Forster, im Vorleben Kindergartenleiterin, die Panoramascheibe des Spielraums zerdeppert hatte und eingedrungen war, sahen sie ihre Beute nur noch davon stieben. Auch Mia Forster war nicht die schnellste, schon gar nicht mit den Wunden, die er ihr zugefügt hatte. Sie schaute ihrer bisherigen Kollegin Rosalind Müller hinterher, wie sie sich in Richtung Innenstadt rettete, ein paar Kinder im Schlepptau. Er sah ihr an, dass sie etwas ausheckte.
Als sie aber in Gegenrichtung der Fluchtroute abdrehte, dem Bürgersteig am Kindergarten entlang folgte und um die Ecke verschwand, konnte er den Sinn ihres Plans nicht recht erkennen. Also schleppte er sich zurück ins Gebäude, witterte nach Beute und begann damit, die Räume nach Verstecken abzusuchen.
Lange suchen musste er nicht. Im Schlafsaal hatten sich drei Frischlinge auf eines der Stockbetten verkrochen und die Leiter eingezogen. Ein Witz, normalerweise. Aber in seinem Zustand waren die zwei Meter bis da oben schon außer Reichweite.
Er rüttelte am Bettgestell, das fest mit der Wand verschraubt war, aber erreichte nichts, außer dass sie noch mehr weinten und nach ihren Eltern brüllten, was ihn in den Ohren quälte. Also gab er es auf, witterte sich zurück ins Freie und suchte nach seiner zuletzt geschlagenen Beute, die er zur Konkurrentin gemacht hatte, aber die ihm als solche vielleicht gerade nützlich sein konnte.
Er fand sie auf dem Parkplatz schräg neben dem Kindergartengebäude hinter einem Baum. Als sie ihn um die Ecke staksen sah, fauchte sie, zeigte die Zähne und machte eine Kopfbewegung, die nur eines bedeuten konnte: dass er verschwinden sollte.
Ihm fiel etwas auf an dem Auto, das sie belauerte: das Kennzeichen. Nicht Stadt, sondern Landkreis. Diese Resterinnerungen an sein altes Leben registrierte er, wie er die Spur einer Beute bemerken und verarbeiten würde, unbewusst. Er kapierte nicht wirklich, was das bedeutete, aber sein Instinkt sagte ihm, dass es sich lohnte, hier auszuharren. Nur nicht offen herumstehend. Mia Forster machte etwas, das anders war als sichtbar warten. Sie verbarg sich.
Auch ohne ihr Fauchen und Scheuchen kam ihm schließlich in den Sinn, dass er sich zurückziehen sollte. Keine Intelligenzleistung war das, sondern Nachahmungstrieb. Er schleppte sich mit schweren Schritten hinter einen der Hartriegelsträucher, die den Parkplatz begrenzten, was dazu führte, dass seine Konkurrentin sich beruhigte und sich hinter das Nachbarauto neben dem Kleinwagen mit Land-Kennzeichen duckte.
Das bisschen Bewusstsein, das noch vorhanden war, schaltete ab. Sie hätten ewig so warten können, jeder für sich und doch zusammen.
Mussten sie aber nicht.
Rosalind Müller rannte, bis ihr die Puste ausging und ihr zweierlei auffiel: Die Kinder waren weg; und die Stadt war irgendwie anders. Keine Passanten. Keine Verkehrsteilnehmer. Die Autos, die sie sah, standen, und zwar kreuz und quer mit offenen Türen und teils steckenden Zündschlüsseln.
Unwillkürlich ließ sie den Blick schweifen. Eine Bäckerei gegenüber schien geöffnet – aber niemand war hinter der Ladentheke. Die Glastür stand schräg, weil ein Bein aus dem Laden ins Freie ragte. Sie schnaufte sich aus und kapierte nicht, was das sollte.
Ehe sie es kapierte, hörte sie ein Pochen über sich. Im zweiten Stockwerk des Hauses über der Bäckerei sah sie hinter einer Fensterscheibe einen älteren Mann stehen. Als sich ihre Blicke trafen, hörte er auf, gegen das Glas zu klopfen und zeigte aufgeregt und heftig fuchtelnd nach unten.
Sie folgte seiner Geste und sah eine Gruppe von Teenagern in ihre Richtung streben. Die kamen direkt auf sie zu. Warum sagten sie nichts? Was wollten sie von ihr? Warum schauten die so komisch?
Sie kannte diesen Blick. Der Irre, der ihren Kindergarten überfallen hatte... – der war übrigens genauso blutverschmiert am Mund gewesen wie diese Teenies. Und zwar alle.
Der Mann am Fenster hatte wieder begonnen zu klopfen. Er machte scheuchende Handbewegungen. Rosalind ließ sich von dem Gedanken aufhalten, warum er nicht einfach das Fenster öffnete und mit ihr sprach, sie fuchtelte zurück. Als der Mann endlich aufhörte, sie anzutreiben, und nur noch den Kopf schüttelte, kapierte sie endlich, dass es fast zu spät war. Teenies, was konnten die einem schon tun?
Die kleine Gruppe hatte sich geteilt. Ein Mädchen mit blonden Locken und zwei ziemlich abgerissene Jungs näherten sich ihr von links und schnitten ihr
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