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Toten-Welt (German Edition)

Toten-Welt (German Edition)

Titel: Toten-Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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Ausweg.
    Aber ich greife vor. Eine Woche. Warum gerade dieser Zeitraum? Weil alle aus meiner Familie solche Visionen hatten. Nie war es ein Verwandter, immer kamen entfernte Bekannte oder längst vergessene Freunde, um sie abzuholen. Von da an dauerte es dann noch genau sieben Tage. Auf die Stunde genau.
    Und so hockte ich, als die Stunde heran war, in meinem Rollstuhl mit Blick auf den Wald und zählte meine eigenen letzten Atemzüge, die meine Sauerstoffmaske beschlagen ließen und unangenehm heiß machten. Weder Rollstuhl noch künstliche Beatmung hatte ich zu dem Zeitpunkt wirklich nötig, aber ich war ein Weichei, auch als ich noch vor Muskeln strotzte, und tat mir gern selber leid.
    Auf die Minute genau, was ich nicht wissen konnte, aber ich schätze es mal aufgrund der Ereignisse, hatte ich eine weitere Erscheinung. Eine wunderschöne, junge Frau stand plötzlich neben meinem Rollstuhl und streckte mir die Hand entgegen. Ihre üppigen langen Haare reichten ihr bis über den Po. Sie trug ein Gewand mit vielen aufgenähten Taschen und lief barfuß. Nun darf ich also doch ins Paradies, wenn ein solcher Engel mich abholen kommt! Was hätte ich auch sonst denken sollen?
    Um die Hand des Engels ergreifen zu können, musste ich aufstehen, und siehe da, es ging mühelos. Mir war, als würde ich meinem von Krankheit zerstörten Körper entsteigen und mit ihm auch meine Sorgen zurücklassen, für immer.
    Hätte ich zurück geschaut in diesem Augenblick, wäre mir aufgefallen, dass da eben keine Leiche sitzen blieb, während mein Geist sich mit dem Engel davonmachte, aber das hätte den traumgleichen Zustand zerstört und vielleicht alles ganz anders kommen lassen.
    Ich jedenfalls, in diesem Augenblick, schaute nicht zurück, sondern ließ mich von der warmen Hand in der Wolke eines süßen Duftes davonführen, durch meine Wohnung hinaus ins Treppenhaus hinunter in die Tiefgarage und in meinem Rover die Auffahrt hoch in den Stadtverkehr und über die Autobahn hinaus aufs Land. Dass ich Auto fuhr, erstaunte mich nicht, da ja der Engel neben mir saß. Ich hatte solche Träume schon gehabt, dass ich ganz körperlich und materiell zugange war, obwohl ich doch fantasierte und es wusste.
    Hätte ich in dem Fall gewusst, dass ich nicht fantasierte, hätte ich dann gegraben, als der Engel auf einen Spaten zeigte? Ich begriff, dass ich nicht in den Himmel aufgefahren war, sondern mich an einem irdischen Ort befand, den ich sehr gut kannte. Ich stand, als das Gefühl des verzückten Dahinschwebens endete, im Geräteschuppen meiner eigenen Burg und hielt den Spaten bereits in der Hand, obwohl ich mich nicht erinnerte, danach gegriffen zu haben.
    Ich hatte diese Burg Monate zuvor gekauft, als es mir noch relativ gut gegangen war und sich alle Hinweise verdichtet hatten, dass hier der Wirkungsort der sagenumwobenen Heilerin Maria Berkel gewesen sein könnte. Ich hoffte, auf der Burg etwas zu finden, das mir helfen könnte, meinen Krankheit zu besiegen, alte Unterlagen oder gar Reste von Mixturen, was natürlich nichts als der letzte Strohhalm war, an den ich mich, den Tod vor Augen, klammerte.
    Ich riss Wände ein, durchlöcherte den Burghof und den Burggraben – unter anderem mit jenem Spaten, den ich nun in der Hand hielt. Als mir die Kräfte ausgingen, gab ich es auf und zog mich zum Sterben in meine Stadtwohnung zurück, die ich behalten hatte, obwohl ich zuletzt ausschließlich auf der Burg gelebt hatte.
    Und nun war ich also wieder hier.
    Aus heutiger Sicht weiß ich, dass in dem Moment bereits meine Sklaverei begann. Denn ich hatte es aufgegeben zu suchen, hatte abgeschlossen mit meinem Leben und erwartete den Tod. Ich wollte nicht wieder graben. Nicht ich. Sie wollte das. Und sie zwang mich. Könnte sein, dass ich schon tot war. Oder ein Zombie, wie ihn die afrikanische Mythologie beschreibt: nicht tot, sondern willenlos durch Behexung.
     
    Amelie brach ab. Ihre Aufmerksamkeit hatte bereits nachgelassen, denn das war wieder genau das Geschwafel, das sie schon in ihrer Rolle als lebendes Diktiergerät Bergenstrohs unendlich angeödet hatte und das nach aller Erfahrung zu nichts führte. Große Versprechungen, siehe Überschrift – und dann nur Blabla und Abschweifungen, nichts als heiße Luft.
    Sie hatte außerdem etwas gehört. In diesem Gebäude. Jemand war eingedrungen.
    Sie legte den Stapel an Ausdrucken zurück in das Schubfach, schlich zur Tür und öffnete sie einen Spalt.
    Sie waren da. Und unterhielten sich in

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