Toten-Welt (German Edition)
das?“
„Was weiß ich?“
„Dass er mir das erzählt hat?“
„Aus Ihren Aufzeichnungen.“
„Nein. Das steht auf Seite 5. Sie haben nur bis Seite 2 geblättert. Das ist schon wieder so was...“
„Drücken Sie sich klarer aus, Schätzchen.“
„Sie wissen Sachen, die noch gar nicht passiert sind.“
„Das mit der Kakerlake ist doch wohl schon passiert! Ich war ja dabei, als sie auf ihm herumkrabbelte. Nur hatte ich sie nicht draufgesetzt.“
„Also ist es doch passiert!“
„Dass Sie die Verleumdungen dieses Ekels protokolliert haben, das ist passiert.“
„Aber Sie haben es nicht gelesen. Gerade eben.“
„Offenbar doch.“
„Sie drehen mir die Worte im Mund herum.“
„Nein, Schätzchen, das geht ganz anders.“
„Sie wissen genau, was ich meine!“
„Warum nimmt Sie das eigentlich so mit? Ist das hier nicht bloß ein Job für Sie?“
„Darum geht es doch gar nicht. Ich bin hier wegen meines Auges.“
„Und dafür habe ich Ihnen ja auch was gegeben. Und jetzt genug geplaudert, ich muss leider was arbeiten. Die Sprechstunde ist beendet.“
Amelie unterdrückte ihre Wut und sammelte sich kurz, bevor sie gezwungen ruhig antwortete:
„Ich bin hier wegen meines Auges, aber nicht, um mir Medizin geben zu lassen, sondern zu erfahren, warum Sie mir das angetan haben.“
„Sie wollen also keine Medizin? Dann wieder her damit!“
„Woher soll ich denn außerdem wissen, dass Sie mir damit nicht noch mehr schaden?“
„Ich bin eine Heilerin, kein Schädling. Warum beleidigen Sie mich?“
Sie lächelte mild, bevor sie hinzufügte:
„Sehen Sie, so macht man das!“
„Was macht man so?“
„Jemandem die Worte im Mund herumdrehen. Ich greife etwas auf und deute es so um, dass ich Ihre Anschuldigung abprallen lassen und gegen Sie verwenden kann.“
„Das haben Sie nicht getan. Sie haben... Ach, was soll’s!“
Amelie gab es auf und wandte sich zum Gehen.
„Wollen Sie das Medikament nun oder nicht? Wenn doch, bräuchte ich noch Ihre Krankenversicherungskarte. Oder zehn Euro in bar.“
Amelies Auge dröhnte und pochte. Es quoll ihr aus dem Schädel und machte sie rasend vor Jucken. Sie resignierte, nahm das Fläschchen und tastete nach ihrem Geldbeutel.
„Tut mir leid, ich...“
Die Berkel winkte ab.
„Ach, lassen Sie doch, Schätzchen. Unter uns Mitbewohnerinnen. Vielleicht tun Sie mir ja auch mal einen Gefallen.“
„Also, fangen wir an?!“
Amelie hockte Bergenstroh gegenüber, bereit zum Diktat. Aber er starrte nur ungeniert und ebenso neugierig wie mitleidlos auf ihr triefendes Auge. Es fühlte sich an, als hätte sich die Entzündung inzwischen über den Sehnerv ins Gehirn gefressen und würde sich übers Rückenmark und sämtliche Nervenbahnen in den Körper durcharbeiten bis tief in die Knochen und dicht unter die Haut. Das bisher gesunde Auge pochte nun auch, aber schwächer und in kürzerer Frequenz. Der unterschiedliche Takt des Pochens ihrer Augen ließ Amelie schielen, wodurch ihr schwindlig wurde und davon schlecht. Sie hatte gehofft, etwas Linderung zu erfahren, indem sie die Kontaktlinsen entfernte, aber schon der Versuch ließ ihre Übelkeit unerträglich werden.
„Schreiben Sie, was Sie fühlen“, befahl Bergenstroh.
„Was – ich – fühle?“
„Nicht die körperlichen Beschwerden. Schildern Sie, wie es sich anfühlt, in Stücke zu zergehen und zu zerfließen in der Gewissheit, danach neu und um einen störenden Bestandteil erleichtert zusammengesetzt zu werden.“
„Woher wissen Sie...?“
„Das ist Teil auch meiner Biographie. Ich könnte es aus der Erinnerung heraus niemals so eindringlich schildern wie Sie, die Sie es gerade durchleiden.“
„Dann stimmt es doch. Sie hat uns vergiftet. Erst Sie, jetzt mich.“
„Wehren Sie sich nicht dagegen, schreiben Sie.“
„Aber wenn sie uns vergiftet, wieso...?“
„Sie vergiftet uns nicht. Schreiben Sie.“
„Wenn sie uns nicht vergiftet, was dann? Oh Gott, ich will... mein Handy, ich brauche... einen Arzt, ins Krankenhaus, ich muss...“
Amelie hatte das Gefühl, jeden Moment vom Stuhl zu kippen. Ihre Hände lagen auf der Laptop-Tastatur, und da blieben sie, obwohl sie mit aller Willenskraft in ihre Tasche fassen und nach Rettung telefonieren wollte.
„Schreiben Sie endlich. Noch funktionieren Ihre Finger.“
„Ich will nicht...“
Was wollte sie nicht? Amelie wusste es, wollte es nicht sagen und sagte es doch:
„...sterben.“
„Aber das müssen Sie. In Ihrem Fall
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