Toten-Welt (German Edition)
werden. Sie mochte Frieda. Dachte sie. Aber im Hintergrund dachte etwas, dass ein Bauernopfer gebraucht wurde. Kanonenfutter, Menschenmaterial. Statistin mit Sprechrolle. Monsterspeise, Raubtierfraß.
Friedas Funktion war klar definiert. Amelies Blick, als sie das dachte und sich selbst davor fürchtete, gereichte Frieda zu echter Furcht.
Und so kam es, dass die beiden jungen Frauen keine WG begründeten. Frieda zog in ihre neue Wohnung, Amelie blieb auf der Burg. Als sie sich wiedersahen, war Frieda noch für eine kurze Weile Frieda, aber Amelie war schon nur noch ein Teil von sich selbst.
„Und, was machen wir jetzt mit ihm?“
„Woher soll ich das wissen?“
„Ihr bindet mich sofort los, ihr undankbaren Scheißkerle, das macht ihr!“
Hubert Helfert lag am Boden langgestreckt auf einer zusammengeklappten Haushaltsleiter. Hand- und Fußgelenke waren mit Schnüren, Klebeband und in Streifen geschlitzten Lederlappen an die Streben gefesselt. Anfangs, als er aus seiner Totenstarre erwacht war, hatten sie ihm Hände und Füße in Ermangelung von Schnüren mit Stoffresten zusammengebunden. Im gegenseitigen Selbstversuch hatte es gehalten. Bei ihm nicht. Mit einem einzigen Ruck war es ihm gelungen, die Handfesseln zu zerreißen. Hätten sie ihn nicht zusätzlich mit dem Hals am Bettpfosten festgebunden und um die Oberarme herum in ein Laken wie in eine Zwangsjacke gewickelt, wäre er sofort frei gekommen. Zum Glück hatten sie in der Zwischenzeit in einem Abstellschrank Paketschnur und Klebeband gefunden. Beides zusammen und dazu die zerschnittenen Reste eines alten Echtleder-Sitzbezuges hielt seinen Kräften stand.
Eine geniale Idee war es gewesen, ihn statt ans Bett an die Leiter zu binden. So waren sie mobil und konnten ihn verlagern wie auf einer Trage. Den tobenden Blitzgenesenen vom Bett zu lösen und an dem Metallgestell neu anzubinden, das war harte Arbeit gewesen. Funktioniert hatte es nur Schritt für Schritt, indem sie ihm, auf dem Bett liegend, die Leiter untergeschoben und zunächst die Handgelenke neu verschnürt hatten. Der kleine Erfolg hatte sie leichtsinnig werden lassen. Sie schnitten die zusammengebundenen Beine frei in der Überzeugung, zu zweit je ein Bein leicht neu an die Leiter binden zu können, aber er hatte derart gestrampelt, gezuckt und um sich getreten, dass sie es fast nicht geschafft hätten und reihenweise blaue Flecken davontrugen.
Nun war auch das überstanden, aber dennoch waren sie ratlos. Und das lag zuallerletzt daran, dass sie keinen Plan hatten – es lag an der Urgewalt seiner Ausbrüche. Ihren Mut, sich zu rächen, hatten sie überhaupt nur fassen können, als er krank und schwach und leidend gewesen war. Jetzt, da er sich so brutal einschüchternd gebärdete wie vor seiner Erkrankung und mit einer Brüllstimme auf sie einhieb, die ihnen mehr unter die Haut fuhr denn je, waren sie wie gelähmt.
Alles lag bereit: Messer, Zangen, Schraubstöcke, Nadeln, ein zugespitzter Zaunpflock... Sie hatten jede erdenkliche Foltermethode studiert und sich für die ihrer Meinung nach schmerzhaftesten entschieden.
Aber dieses Monster martern?
Er beherrschte sie mit der puren Macht seiner Wachheit und neu erwachten Gesundheit. Er mochte gefesselt sein, aber sie fühlten sich ihm ausgeliefert. Was, wenn er schon zu Beginn der Tortur vor Wut und Schmerzen so in Raserei geriete, dass er sich mühelos befreite und sie wieder einsperrte, mit ihnen Schlimmeres anstellte als sie es sich vorstellen konnten – womöglich genau das, was sie mit ihm vorhatten? War es nicht besser, ihm eine Schere ins Herz zu rammen und die Gefahr damit für immer zu bannen?
„Erst mal knebeln“, beschloss der Gnom. „Seine Stimme geht mir durch und durch. Wenn die weg ist... Mal sehen.“
Er suchte im Zimmer herum und entschied sich für die Plastiktüte, in der sie die Paketschnur gefunden hatten. Zusammengeknüllt würde sie den Mund schön ausfüllen. Sofort biss der Gefesselte die Backenzähne fest zusammen und knurrte dennoch überraschend deutlich: „Versuch’s doch!“
„Ich weiß was Besseres“, rief der Hase und machte einen Schritt zum Kamin. Er griff sich einen dünnen, aber kräftigen Spreißel, schnitzte ihn mit seinem Taschenmesser rasch an den Enden spitz und zeigte, auf fragende Blicke seines Bruders hin, auf seine eigene Halsbeuge und Kinnspitze.
„Den Kopf überstrecken und hier und hier einspießen. Tut sauweh und sorgt für üble Verletzungen, wenn er versucht, den
Weitere Kostenlose Bücher