Toten-Welt (German Edition)
Holztür zu hämmern und sie mit Kerzenhaltern und Schürhaken zu traktieren. Saft- und kraftlos hing er über der Rollstuhllehne und geiferte, ohne es zu merken, wahre Sturzbäche an Spucke auf den Boden.
Er hatte es so satt. Diese verkrümmte und verkümmerte Existenz im Rollstuhl, die permanenten Demütigungen dieser Hexe und vor allem ihre Lügen. Sie hatte ihm Gesundheit und ewiges Leben versprochen. Bekommen hatte er den für alle Ewigkeit konservierten Ist-Zustand seiner ins letale Stadium eingetretenen Krankheit und das beständig zunehmende Gefühl, gleich zu sterben, aber es nie mehr zu können.
Das Schlimmste aber war: Trotz allem betrachtete er sich selbst weiter als den kräftigen jungen Mann, der er bis vor kurzem noch gewesen war. Die Krankheit hatte ihn so plötzlich überfallen, dass er gar nicht dazu gekommen war, ihre Folgen zu begreifen. Und seine Hoffnung auf Genesung durch das angebliche Zaubermittel hatte verhindert, dass er es je für nötig gehalten hätte, seinen Zustand zu akzeptieren.
Er war ein fehlgeschlagenes Experiment, das wusste er genau. Die Hexe leugnete ihr Versagen und deutete es zum Erpressungsversuch um: Sie hatte Teil 1 ihres Versprechens erfüllt und ihn dem Tod von der Schippe geholt. Und nur, wenn er nun einlöste, was er gelobt hatte, würde sie ihn ganz gesund machen und wieder laufen lassen.
Aber seit sie dieser Amelie Korski ihr Mittel verabreicht hatte und er die Wirkung hatte studieren können, wusste Bergenstroh, dass die Tropfen das versprochene zweite Wunder an ihm nicht vollbringen würden. Die geheimnisvolle Lösung machte Krankheiten nicht rückgängig, ersparte einem auch nicht den Tod, sondern erweckte den toten Körper zu einem Dasein, in dem das Herz zwar wieder schlug, aber der Stoffwechsel verrückt spielte. Das Mittel verhinderte den Eintritt der Verwesung und sperrte einen Teil des vorher vorhandenen Ich-Bewusstseins in die lebende Leiche, während der andere Teil, seine Seele, sein Geist oder wie immer man es nennen mochte, seit Einnahme des Mittels durch die Burg spukte und ihm als durchsichtige Gestalt erschien, ohne Kontakt zu ihm aufzunehmen. Bergenstroh konnte sich nicht erklären, was die Zweiteilung verursachte und ob sie je rückgängig zu machen wäre.
Vielleicht, wenn nicht durch Genesung, so schaffte er es durch das Gegenteil. Es gab einen Weg, diesen Zustand zu beenden. Er musste dieses Wrack von Körper zerstören. Was nicht mehr vorhanden war, konnte auch kein untotes Leben führen.
Er legte die rechte Hand auf das Kästchen mit der Steuermechanik, wendete den Rollstuhl und fuhr damit zum Kamin. Neben dem Reinigungsbesteck stand eine fast volle Plastikflasche mit Anzünderflüssigkeit. Auch die Streichhölzer lagen noch bereit. Seit dem letzten Winter hatte er den Kamin nicht mehr befeuert. Zwar hatte er es auch im Sommer zuweilen genossen, an kalten Abenden, die sich in diesem feuchten Gemäuer wie Herbstnächte auf die Haut legten, sich an den Flammen des offenen Kamins zu wärmen. Aber seine Erkrankung hatte ihn die kleine Mühe seither scheuen lassen. Statt dessen hatte er die Heizung aufgedreht.
Nun war die Zeit für sein letztes Feuer gekommen. Mit zuckenden Bewegungen grabschte er nach der Anzünderflüssigkeit und schaffte es nach Dutzenden von Fehlversuchen, mit seinen steifen, verkrümmten Fingern den Schraubverschluss zu öffnen. Ein letztes Mal roch er an der scharfen, öligen Mixtur, genoss es, einen letzten Sinn zu haben, der noch funktionierte, und bespritzte sich dann von Kopf bis Fuß. Die Ausdünstungen verloren in dieser Konzentration ihre angenehme Note und stiegen ihm so heftig in die Nase, dass er gegen Brechreiz ankämpfen musste. Rasch beugte er sich zu den Streichhölzern, fummelte eines aus er Schachtel, ratschte es über die Reibefläche und ließ es sich in seinen von Anzünderflüssigkeit durchtränkten Schoß fallen.
„Oh mein Gott!“
Friedas Stimme überschlug sich, als sie den Kellerraum betrat und die drei entstellten Körper sah.
„Wir müssen sofort die Polizei rufen!“
„Aber, aber, nicht so empfindlich, bitte. Das sind sehr kranke Menschen, die dringend unserer Fürsorge bedürfen.“
Wicca schloss, kaum war auch Amelie mit steifen Beinen in den Raum gestelzt, die Metalltür von innen ab und steckte sich den Schlüssel in eine ihrer Hosentaschen. Es ging so schnell, dass Frieda nicht mitbekam, in welcher Tasche der Schlüssel verschwunden war. Sie japste und verschluckte sich, als
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