Toten-Welt (German Edition)
Aufbau und Erhaltung einer neuen Art. Und um Rache.“
„Aber Rache ist doch auch ein Menschengefühl.“
„Rache“, sagte Frieda und hörte auf zu zittern. Sie stöhnte, bäumte sich auf und lag still.
Wicca registrierte ihren Tod mit einem Nicken.
„Jetzt wird’s spannend.“
Was für eine Verschwendung, dachte Helfert, als er Frieda sterben sah. Warum hatte er diese seltsame neue Gier, die nach seinem Tod in ihm erwacht war, nicht bis zur Neige ausleben dürfen? Es hätte nichts geändert. Tot war tot.
Er zog sich einen Stuhl so heran, dass er zwischen seinen bisherigen Opfern, seinem Todesopfer und den beiden Gafferinnen stand, und hockte sich auf die Kante.
Er wusste, dass die beiden Jungs ihn bemerkten. Ihre Augen waren zwar starr, aber geöffnet. Was in ihnen vorging, wusste er aus Erfahrung, und er genoss es, dass nun sie die Hilflosen waren – wie zuvor schon jahrelang und wie es sich gehörte.
Ihre Narben waren wieder da. Dann war sein Krebs wohl auch nicht besiegt. Offenbar würde er nicht daran zugrunde gehen, vorerst, aber was, wenn die Tumore weiter wucherten, auch in seinem toten und wiedererweckten Körper, und irgendwann die Kontrolle übernähmen?
Nicht, so lange er das Mittel bekam. Es machte ihm nichts aus, nun davon abhängig zu sein. Was ihn störte, war dieses Weib. Er war kein Befehlsempfänger. Aber er konnte sich gut verstellen. Einstweilen konnte er ihr gehorchen, auch wenn er sich ihr weit überlegen fühlte. Er konnte ihr Unterwürfigkeit vorgaukeln, bis er herausfand, wo sie das Mittel lagerte oder, noch besser, wie sie es herstellte. Und dann war sie fällig.
Die Jungs würden dann immer noch hier liegen. Es würde ihm ein Genuss sein, den Spieß wieder umzudrehen, sie festzubinden und erst dann mit den Augentropfen zu reaktivieren.
Und dann gnade ihnen Gott!
„Es ist soweit.“
Amelie hatte bereits selbst bemerkt, dass Frieda sich wieder bewegte. Es sah aus als würde sie aus tiefem Schlaf erwachen. Erstaunt sah sie sich um und versuchte, sich aufzurichten.
„Haben Sie Schmerzen?“
„Nein.“
Frieda schüttelte den Kopf, schaffte es in die Aufrechte und tastete nach ihrer Wunde. Angewidert verzog sie das Gesicht.
„Können Sie sich erinnern, was passiert ist?“
„Der da ist auf mich losgegangen.“
Sie zeigte auf den verblüfft grinsenden Helfert. Ein schleimiger Pfropfen ihres eigenen Blutes hing an ihrem Finger und senkte sich, einen Faden ziehend, nach unten.
„Auf Ihren Befehl. Jetzt bin ich... entstellt.“
„Nicht böse sein. Das haben wir gleich.“
Wicca, die wie anteilnehmend neben Frieda gekauert hatte, stand auf, ging zu den Jungs und begann damit, dem Hasen die Jeansjacke auszuziehen. Das Kleidungsstück dem steifen Körper zu entreißen, war ein Kraftakt, den sie mühelos bewältigte. Wie eine Schaufensterpuppe drehte und wendete sie ihn, bis die Arme aus den Ärmeln waren.
„Hier bitte. Aber waschen Sie sich vorher. Vielleicht finden Sie im Haus auch noch was anderes, das Ihnen passt. Und Sie, mein Freund, besorgen sich ebenfalls neue Klamotten und vor allem Handschuhe.“
Helfert starrte auf seine Fingerkuppen und nickte.
„Erregt auch sonst keine Aufmerksamkeit, weder äußerlich noch durch euer Verhalten. Wehe, jemand kommt dahinter, was mit euch los ist.“
„Wir sollen gehen? Raus, unter Menschen? Einfach so?“, fragte Helfert und schaute zur Tür. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er nicht damit gerechnet hatte, den Keller je wieder zu verlassen. Er zeigte auf die Brüder.
„Und was ist mit denen da?“
„Um die kümmere ich mich zusammen mit der lieben Amelie. Eure Aufgabe ist: Macht mehr von euch. So viele wie möglich.“
Frieda, noch immer mit ausgestreckten Beinen auf dem Boden hockend, hielt die Jeansjacke von sich weg als könne sie sich daran beschmutzen und nicht umgekehrt. Sie ließ sie fallen und fragte:
„Mehr von was? Ich verstehe nicht.“
„Dann drücke ich mich klarer aus: Brecht jede Nacht in so viele Häuser wie möglich ein, tobt euch an den Besitzern aus, aber hinterlasst keine offen sichtbaren Wunden. Wartet, bis sie tot sind und zurückkommen, instruiert sie und zieht weiter.“
„Klingt gut“, meinte Helfert und vergaß seine Wut auf die Jungs. „Ist das alles?“
Statt einer Antwort ging Wicca zur Kellertür, sperrte und riss sie auf und wünschte: „Bon Appetit.“
Wacklig kam Frieda auf die Beine. Ihre zerfetzte Schulter baumelte leblos am Körper. Ihr Unterkiefer sperrte
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