Toten-Welt (German Edition)
noch Jahrhunderte hier sein. Jeder, dem sie ihr Mittel verpasst, wird an ihrer Seite bleiben und ihre Familie sein. Nur so macht es Sinn, Kontakte zu knüpfen. Würden Sie sich die Mühe machen, sich mit jemandem anzufreunden, der morgen tot ist?“
„Keine Ahnung. Ich freunde mich nicht willkürlich und planvoll mit Leuten an. Und was sollen wir jetzt machen?“
Er baute sich vor ihr auf, breitschultrig und voll sprühender Energie. Er lächelte und zeigte dabei zwei Grübchen in den Wangen. Amelie fand ihn unglaublich charmant und genoss seine Gegenwart.
„Planen Sie nicht mit mir. Ich hocke in ein paar Tagen wieder im Rollstuhl und gehorche ihren Befehlen.“
„Und das lassen Sie zu? Warum laufen Sie nicht weg!?“
Er wendete, statt einer Antwort, den Kopf leicht ab und schaute sie fragend von der Seite an. Amelie nickte resignierend.
„Entschuldigung, das war eine dumme Frage. Vielleicht könnte ich weglaufen, falls das Mittel bei mir nicht wirkt. Aber ich mache es ja auch nicht.“
„Die Assistentin, die sie vor Ihnen hatte, ist weggelaufen. Sie kam nicht mal 100 Kilometer weit, bevor sie in die Erstarrung verfiel. Man hielt sie für tot und beerdigte sie. Wicca ließ es sich nicht nehmen, ihr am offenen Sarg ein Küsschen zu geben, ihr ein Augenlid zu heben und die Panik in ihrem Blick zu genießen. Sie hat ihr ein Babyphon in den Sarg geschmuggelt und lauscht gelegentlich darauf, ob sie kleine Geräusche macht.“
„Das ist doch nicht wahr!“
„Wicca selbst hatte wenigstens ein paar Quadratmeter Raum für ihre 500 Jahre unter der Erde. Diese Frau, Carmen Heinze, liegt bei vollem Bewusstsein langgestreckt in einer Holzkiste, und alles, was sie in den nächsten Jahrzehnten erwarten kann, ist, dass diese Kiste fault und einstürzt und ihr gar keine Luft mehr bleibt. Man atmet ein wenig in diesem Zustand, wissen Sie. Wenn man es nicht mehr kann, vegetiert man trotzdem weiter, aber erleidet zusätzlich zu allen anderen Torturen und Ängsten die ständige Qual des Erstickens.“
„Aber...“
„Und Carmen ist nicht die Einzige. All die Patienten, die nach ihrer Heilung meinten, sich von Wicca lossagen zu können, haben diese bitterböse Überraschung erlebt. Laufen Sie lieber nicht weg, Amelie.“
Irene Bomhan hatte keine Chance, trotz Gegensprechanlage und vorgelegter Kette.
Sie war eine übervorsichtige Frau. Wenn es an der Tür klingelte, so wie jetzt, schaute sie erst mal durch den Spion. Denn zuweilen kam es vor, dass sich jemand Zutritt in die Mietskaserne verschaffte, indem er darauf lauerte, dass ein Bewohner das Haus verließ. Auch der Spion war nicht perfekt und hatte einen toten Winkel. Deshalb die Kette.
Aber die Jungs stellten es schlau an. Sie hatten den unteren Zugang so blockiert, dass die Haustür nicht ins Schloss fiel. So kam der Hase ins Haus, während der Gnom unten klingelte und sie über die Gegensprechanlage ablenkte. Der Hase klingelte kurz zeitversetzt oben und zeigte sich vor dem Spion. Da er harmlos aussah und so leise sprach, dass sie nichts verstand, meinte sie es wagen zu können, die Tür mit Kette davor einen Spalt zu öffnen.
In dem Moment klingelte es abermals von unten. Sie geriet unter Druck, befasste sich mit der Gegensprechanlage, was dem Hasen Gelegenheit gab, die Kette mit einem Seitenschneider durchzuzwicken. Ehe sie das mitbekam, war er schon drin und setzte sie außer Gefecht. Der Gnom spurtete die Treppen hoch und schloss sich an. Ein Kinderspiel.
Nur leider war die Frau nicht einzuschüchtern. Sie verabreichten ihr die Tropfen, warteten ihr Delirium ab, ihren Systemneustart und das getrübte Bewusstsein ihrer Neu-Existenz. Sie wagten es sogar, ihr die Fesseln zu lösen. Sie instruierten sie. Das Weib weigerte sich. Sie glaubte nicht an den Eintritt der Erstarrung, und überhaupt...
Also auf die harte Tour.
Als die Erstarrung sie endlich umhaute und ihr, wie ja wohl klar war, den Schneid abkaufte, derweil die Jungs sich vom Fernseher berieseln ließen, schien alles eine Frage von Stunden. Aber kaum hatten sie ihr die nächste Dosis gewährt, um sie zu reaktivieren, wollte sie immer noch nicht auf ihren Chef losgehen.
„Warum sagt sie uns das überhaupt?“, fauchte der Hase, als liege in ihrer Ehrlichkeit eine besondere Tücke. „Die könnte doch so tun als ob sie mitspielt und dann die Bullen rufen.“
„Gut für uns, dass sie dermaßen stur ist.“
„Und was machen wir nun?“
„Wenn die Tropfen so beschissen wirken, können wir
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