Toten-Welt (German Edition)
packen.“
„Wie ging das alles überhaupt los?“, fragte Amelie und betrachtete forschend Bergenstrohs jugendliches Gesicht. „Haben Sie ihre Praxis aufgesucht, um einen letzten Versuch gegen die Krankheit zu starten? Wie sind Sie auf sie gekommen? Übers Internet?“
„Nein, so war das nicht. Internet ja, aber vor allem alte Bücher. Ich bin eigentlich Ahnenforscher. Und ich war schon lange an ihr dran, schon vor meiner Krankheit.“
„An ihr dran? Soll das heißen...“
„Das war ein alter Mythos, dem ich für meine Doktorarbeit nachgegangen bin: Heilerinnen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit und die direkten oder indirekten Auswirkungen ihrer Erfolge auf den Hexenwahn. Der Name Maria Berkel tauchte in den Quellen immer wieder auf.“
„Nur Maria? Was ist mit Wicca?“
„Den Namen hat sie sich erst vor ein paar Wochen selbst zugelegt. Das ist totaler Blödsinn. Ich habe ihr von einer Hexen-Bewegung unserer Tage erzählt, die unter dieser Bezeichnung agiert.“
„Aber wenn sie unter der Erde eingemauert war, wie...“
„Als ich noch gesund war, erhärteten sich die Hinweise auf diese Burg als Schauplatz des Dramas. Aber da wäre ich nie auf die Idee gekommen, mit Feldforschungen tätig zu werden.“
„Die Burg gehört Ihnen aber doch.“
„Ich habe sie erst gekauft, als mein Arzt mir das Todesurteil verkündet hat. Ich hatte nichts mehr zu verlieren.“
„Sie wussten also nicht sicher, ob Wicca hier war?“
„Dass sie selbst in Form ihrer Gebeine hier sein könnte oder gar noch am Leben wäre, das habe ich doch nicht im Traum angenommen. Ich dachte, ich könnte hier ihre Rezepte finden. Irgendwas... na ja, Lebensverlängerndes.“
„Wären Sie ohne sie schon tot?“
„Ja, längst.“
„Also haben Sie nur bekommen, was Sie wollten.“
„Kann man so nicht sagen. Im Moment vielleicht schon. Nächste Woche nicht mehr. Die Ironie ist ja, dass sie mich so sein lassen könnte wie jetzt, dauerhaft. Aber dann hätte sie mich nicht am Gängelband.“
„Und wozu überhaupt? Ich meine, was hat sie denn davon?“
„Sie braucht mich, um ihre Feinde zu finden. Ich habe sie aufgespürt und ausgegraben, also denkt sie, das geht so auch bei allen anderen Beteiligten.“
„Wie, welche anderen Beteiligten? Wen meinen Sie?“
„Ihre Folterer und Henker. Und den Kerl, der sie eingemauert hat. Sie will natürlich Rache.“
„Leben die etwa auch alle noch?“
„Ich weiß es nicht, aber sie rechnet damit. Das waren nicht irgendwelche Leute, sondern ihre Patienten, die sie zum Dank für ihre Genesung wegen Hexerei denunzierten und sogar mit halfen, sie auf den Scheiterhaufen zu stecken. Wenn das Mittel bei denen so gewirkt hat, wie bei ihr, dann leben sie seit Jahrhunderten mitten unter uns und haben womöglich Tausende und Abertausende unsterblicher Nachkommen in die Welt gesetzt.“
„Die kann sie doch unmöglich finden und alle in Sippenhaft nehmen.“
„Die meisten sind ihr egal. Sie sucht vor allem einen, ihren ehemaligen Komplizen.“
„Sie hat das Mittel nicht allein hergestellt?“
„Gar nicht. Er hat sie vorgeschoben und alles ausbaden lassen, als die verheerende Wirkung eintrat.“
„Und wie hieß der Mann?“
„Hermann Klangfärber. Meinen Quellen zufolge ist er 1531 zu Marburg gestorben. Aber es gibt da eine Spur, die... Was haben Sie?“
Amelie hatte hinter sich nach einem Stuhl getastet, keinen gefunden und sich kurzerhand auf den Boden sinken lassen. Sie begann vor Aufregung zu schwitzen, schnaufte und starrte kopfschüttelnd ins Leere.
„Amelie?! Sagt Ihnen der Name etwas?“
Aus ihrem ratlosen Kopfschütteln wurde ein entschieden verneinendes.
„Nein. Leider nicht.“
Sie stützte sich ab, um aufzustehen, und ließ nach einer schwachen Abwehrbewegung seine Hilfe zu.
„Wirklich? Als ich den Namen sagte, da...“
Sie schob ihn von sich weg und schaffte es allein auf die Füße.
„Warum bin ich hier?“
„Weil Sie sich auf mein Stellenangebot hin beworben haben.“
„Nein, ganz sicher nicht. Jetzt lügen Sie mich mal nicht an. Nach allem, was ich inzwischen weiß, ist es völlig absurd, dass Sie ein Tippse suchen, um Ihre Memoiren zu schreiben. Sie sind so was wie ein Untoter. Sie haben ganz andere Probleme. Also?“
„Als Untoter hat man viel Zeit und keine Verpflichtungen mehr.“
Er versuchte ein selbstironisches Lächeln.
„Und noch was: 500 Jahre – etwa aufs Jahr genau?“
„Sie meinen...“
Er deutete mit dem Daumen in
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