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Toten-Welt (German Edition)

Toten-Welt (German Edition)

Titel: Toten-Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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lässt sich nicht zurückdrehen. Als ob es nicht draußen schon schwül genug wäre. Würden Sie sich bitte darum kümmern?“
    Amüsiert sah sie ihn so, wie sie es beabsichtigt hatte: in Hemdsärmeln, mit offenem Kragen und riesigen Schweißflecken.
    „Natürlich, Herr Oberbürgermeister.“
    Sie folgte ihm ins Allerheiligste.
    „Dass sich aber auch diese Fenster nicht öffnen lassen!“
    „Tja...“
    Sie zog die Tür von innen zu und änderte ihren Plan. Es hatte Spaß gemacht, den Jungen anzufallen, während er kämpfte und sich wehrte und ihr trotz der Unterstützung seines dämlichen Bruders hilflos ausgeliefert war. Hier war es klüger, auf den Nervenkitzel der Gegenwehr ihres Opfers zu verzichten. Raubtier konnte sie beim nächsten Beutezug wieder spielen und beim übernächsten und so oft sie wollte.
    Die bescheuerte Indianerstatue neben der Tür zum Großen Sitzungssaal, ein Geschenk des Bürgermeisters der US-Partnerstadt, würde heute erstmals zu was nütze sein. Sie packte das schwere bronzene Ding am federgeschmückten Kopf und machte den Sockel zum Hammer. Dummerweise hörte der wandelnde Schweißfleck, dass hinter ihm etwas im Gange war und drehte sich halb um. Statt am Hinterkopf erwischte sie ihn an der Schläfe. Sein Ohnmachtsblick ließ ihn aussehen, als sei er scharf auf sie. Mussten die Augen nicht zugehen, wenn jemand nur bewusstlos war?
    Scheibenkleister. Wenn er jetzt schon tot war, hatte sie wohl alles vermasselt.
     
    Hubert Helfert war halb wahnsinnig vor Gier, als er die Herde vor sich herumtollen sah. Inzwischen war jegliche Umsicht ausgeknipst. Hätte er noch Erinnerungen an Erlerntes in sich getragen und Vergleiche ziehen können, ihm wären wohl die alten Werwolfs-Mythen eingefallen, und es hätte ihm geschmeckt, sich selbst als ein solcher zu sehen. Ein Wolf, der junge Schafe riss.
    Offen sichtbar über die Freifläche des Fußballplatzes torkelte er auf das Kindergarten-Gelände zu. Den Maschendrahtzaun nahm er erst wahr, als er ihm den Weg versperrte. Er prallte mit dem Bauch dagegen, federte zurück, knurrte vor Wut über das Hindernis und warf sich wieder dagegen. Die Fährte in seiner Nase war jetzt so stark, so alles beherrschend.
    Dass seine Gier ihm einen Strich durch die Rechnung machte, begriff er zu spät. Die Herde hatte ihn erspäht und wurde unruhig. Das weckte die Aufmerksamkeit der Hüterinnen.
    Die Erzieherin Rosalind Müller sah ihn zuerst. Was sie sah, war ein großer, wild aussehender Irrer mit zerfledderten Klamotten, gebleckten Zähnen und seltsamen Flecken im Gesicht, der versuchte, den Zaun zu durchbrechen. Sie rief ihre Kollegin, die Kindergartenleiterin Mia Forster zu Hilfe.
    „Ist das Türchen zugesperrt?“
    „Nein.“
    „Warum wirft er sich dann gegen den Zaun?“
    „Keine Ahnung. Mit dem stimmt was nicht.“
    „Ach ja?“
    Mia Forster war noch nie besonders leicht zu erschüttern gewesen, aber seit kurzem juckte sie gar nichts mehr. Ihre neue Kraftquelle hatte sie zur inneren Riesin gemacht. Und ihren Sarkasmus zu neuen Höhen geführt.
    „Vielleicht ein betrunkener Obdachloser?“, fragte Rosalind Müller, um von ihrer Plattitüde abzulenken.
    „Bringen Sie die Kinder rein und sperren Sie ab.“
    „Soll ich die Polizei rufen?“
    „Erst mal nicht.“
    Wie magisch angezogen ging Mia Forster los. Helfert hatte ein enttäuschtes Geräusch gemacht, als die Kinder im Haus verschwunden waren, ein Stöhnen, das so laut war wie ein Brüllen. Die veränderte Situation ließ ihn innehalten. Er nahm eine neue Witterung auf. Nicht ganz so intensiv, aber stark überlagert vom Lockruf der Sucht. Als er ihre unterschiedlich verfärbten Augen sah, sorgte das Aha-Erlebnis für eine Begeisterung, die in einem Kraftausbruch explodierte. Er warf sich mit voller Wucht gegen den Zaun und bog ihn so weit zur anderen Seite, dass er den einen Meter, den die Frau als Sicherheitsabstand für ausreichend erachtet hatte, mit einem Ruck überwand. Die Verstrebungen knickten, er fiel ihr entgegen, sprang zugleich hoch und rannte regelrecht über den fallenden Draht.
    Mia Forster wurde halb unter dem Zaun begraben, bevor das blutverschmierte Raubtier sich auf sie fallen ließ. Mit Fingern ohne Fingernägel grabschte er nach ihren Gesicht und ihren Haaren und zog sie schon zu sich heran, während er ihr noch entgegen hechtete. Was hier passierte war definitiv nicht gut für sie, und doch hatte sie keine Angst, denn sie witterte etwas, das ihresgleichen war, und das nun

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