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Toten-Welt (German Edition)

Toten-Welt (German Edition)

Titel: Toten-Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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vollständig hervorgebracht werden würde.
    Für Rosalind Müller sah es so aus als falle ein tollwütiger Bär über ihre wehrlose Chefin her. Sie hatte sich hinter die große Scheibe des Spielraums geflüchtet, die Kinder um sich geschart, und glotzte gebannt auf das Gemetzel, obwohl sie genau wusste, dass sie A die Kinder von dem Anblick hätte wegscheuchen und in einem sicheren Raum verstecken und B sofort die Polizei rufen müssen.
    Sie wurde erst aus ihrer morbiden Faszination geschreckt, als das Raubtier von seinem Opfer abließ, den Blick hob und ihr zielgenau in die Augen schaute. Er hatte sich halb im Maschendrahtzaun verheddert, fing an zu strampeln, gleichzeitig aufzustehen und loszuwanken. Was er vorhatte, stand außer Frage. Rosalind Müller sah die Stunde gekommen, zur Heldin zu werden. Auch wenn sie dabei draufging.
     
    Polizeihauptkommissar Werner Mertel hatte genug Akten gesichtet um zu begreifen, dass er einer Riesenschlamperei auf die Spur gekommen war. Inzwischen bundesweit über 300 vor Blut triefende Mordschauplätze, erste ähnliche Meldungen aus dem europäischen Ausland, keine einzige Leiche, 96 verschiedene Fingerabdrücke, die sich an verschiedenen Tatorten wiederholten, aber immerhin 31 mal die gleichen. 95 der 96 Fingerabdrücke waren nicht registriert, aber der eine bekannte, der hatte es in sich.
    Hubert Helfert war vor fast 40 Jahren das erste Mal angezeigt worden wegen unverhältnismäßiger Grausamkeit, wie es damals formuliert worden war. Als junger Erwachsener hatte er auf einen Hund eingeprügelt, bis der Prügel, ein Stockschirm, auseinanderbrach. Der Hund war tollwütig gewesen, hätte längst eingeschläfert werden sollen und hatte Helfert vor dessen Gegenwehr sogar gebissen. Obwohl die Schuld beim Besitzer lag und der auch belangt wurde, hätte die Hassorgie an dem Tier nicht ohne Folgen bleiben dürfen. Blieb sie aber.
    Der nächste Aktenvermerk war eigentlich ein vorheriger, der auf Jugendvergehen Bezug nahm, die gelöscht worden waren. Offenbar hatte sich Helfert bereits als 14jähriger und auch später immer wieder heimlich in nicht jugendfreie Filme eingeschlichen. Der Vermerk entstand, weil das Einschleichen ohne Bezahlung erfolgt war. Er hatte den entstandenen Schaden beglichen, eine Strafe war nicht verhängt worden.
    Dann der erste Mordverdacht. Der zweite Mordverdacht. Die erste Hausdurchsuchung. Dann zehn Jahre lang gar nichts. Dann die erste Anzeige wegen Kindesmisshandlung. Nach dem Tod seines Bruders und seiner Schwägerin hatte er deren Jungs bei sich aufgenommen. Immer wieder fielen Erziehern, Nachbarn und Bekannten Spuren von Gewalt an den Brüdern auf. Besuche des Jugendamtes aber blieben ohne Eingriffe. Die Neffen schützten ihren Onkel und beteuerten, sich alle Verletzungen selbst zugezogen zu haben. Obwohl dieses Leugnen aus Angst so typisch war für misshandelte Kinder, passierte gar nichts.
    Mertel fand es zum Kotzen. Immer wieder der gleiche Scheiß. Kleine Verstöße wurden hart verfolgt. Die eindeutigen Mistschweine aber, die tolldreisten Serien-Wiederholungstäter, wanden sich irgendwie raus. Sie waren zu schlau, um Beweise zu hinterlassen. Sie waren zu charmant und bezauberten die Ermittler regelrecht. Oder sie waren einfach zu hart, brutal und gefährlich als dass sich irgend jemand mit ihnen anlegen wollte.
    Aber diesmal hatten sie ihn! Es gab die Fingerabdrücke, es gab das Video. Sie konnten ihn festnageln.
    Sie mussten ihn nur noch erwischen...
     
    Was jetzt?!
    Irene Bomhan hockte am Boden neben der Leiche ihres Chefs und war ratlos. Sie hatte ihm ein paar Bisse verpasst – aus Fressgier und in der Hoffnung, dass die Übertragung auch postletal noch wirkte so wie bei ihr und dem Jungen und umgekehrt.
    Anscheinend nicht. Warum wollte sie überhaupt, dass er wieder aufstand? Der Plan dieser beiden Idioten war so hirnrissig, dass sie sich lange Zeit geweigert hatte, sich dafür einspannen zu lassen. Die hatten ihr irgendwas ins linke Auge verabreicht. Es hatte auch gewirkt, irgendwie. Aber offenbar nicht so, wie von denen erwartet.
    Die landesweite, bundesweite, weltweite Befehlskette von unten nach oben außer Kraft setzen, das war der wahnwitzige Plan. Ob die zwei Heinis inzwischen mit Landrat, Polizeichef und sonstigen auf Bundesebene niederen Chargen weitergemacht hatten? Vielleicht war eine Aktivität ihrerseits gar nicht mehr nötig.
    Aber verdammt, sie wollte aktiv werden! Die Sehnsucht nach Anarchie und Chaos war ihr ins Blut gebissen

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